Minuskalorien - Märchen oder Wirklichkeit?

26.12.2011 | Stand 03.12.2020, 2:00 Uhr

Sie verbrauchen angeblich mehr Energie, als sie selbst enthalten. Wir wollten wissen, was an diesen Diäten tatsächlich dran ist und haben eine Ernährungswissenschaftlerin dazu befragt.

Richtig reinhauen und dabei immer schlanker werden. Das soll funktionieren, wenn man auf Lebensmittel setzt, die sogenannte Negativkalorien enthalten. Der Begriff ist dabei allerdings etwas missverständlich, wenn nicht gar falsch, denn negative- oder Minuskalorien gibt es streng genommen gar nicht. Treffender ist wohl eher von einer negativen Energiebilanz zu sprechen, die entstehen soll, wenn der Körper bei der Verwertung bestimmter Nahrungsmittel angeblich mehr Energie verbraucht, als er durch das Produkt selbst bekommt.

Diese Gabe wird vor allem bestimmten Obst- und Gemüsesorten zugeschrieben. So zählen zum Beispiel Artischocken, Spargel, Sellerie und sämtliche Kohlsorten dazu, aber auch Erdbeeren, Ananas, Grapefruit und Papaya sowie diverse Kräuter. Sie enthalten selbst nur sehr wenige Kalorien, sollen aber so aufwändig zu verdauen sein, dass dem Körper nach dem Genuss weniger bleibt, als durch den Verzehr bekommt. Und mit diesem Trick sollen die Pfunde nur so purzeln.

Klingt fast zu schön, um wahr zu sein

Doch bislang gibt es für diese Theorie noch keinerlei wissenschaftlichen Beweis. Mir ist keine einzige Studie bekannt, in der belegt wird, wie viel Energie der Körper zur Verdauung einzelner Nahrungsmittel tatsächlich benötigt, erklärt Diplomökotrophologin Isabelle C. Keller von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE). Was wir dagegen wissen ist, dass Menschen sehr, sehr unterschiedlich verbrennen. Damit lässt sich auch erklären warum manche Menschen bei gleicher Temperatur frieren, während andere sich pudelwohl fühlen oder gar schwitzen. Natürlich benötigt der Körper für Transport und Speicherung der Nahrung Energie. Bei normaler Mischkost geht man grob von etwa 8-10 Prozent der eingebrachten Energie für die sogenannte Thermogenese aus, erklärt die Ernährungswissenschaftlerin. Dass für einzelne Lebensmittel 100 Prozent und mehr verbrannt werden, ist mir nicht bekannt und auch wissenschaftlich nicht belegt.

Die Energiebilanz muss stimmen

Bleibt die Argumentation mit Nahrungsmitteln, die gar keine Kalorien enthalten, wie etwa kaltes Wasser oder Eiswürfel. Auch sie gelten als Erzeuger von Minuskalorien, weil der Körper zur Erwärmung angeblich zusätzliche Energie aufwenden muss. Dem erteilt die Fachfrau allerdings eine Absage. Falls tatsächlich zusätzliche Energie eingesetzt wird, dürfte die so gering sein, dass sie kaum ins Gewicht fällt, urteilt Keller. Abnehmen kann man nur, wenn die Energiebilanz stimmt. Wenn also wirklich weniger Kalorien über das Essen zugeführt werden, als der Körper für Atmung, Herzschlag, usw. plus sämtliche körperlichen Aktivitäten benötigt. Beim Abnehmen nur auf die mögliche Verdauungsleistung zu gucken, halte ich für wenig zielgerichtet, erklärt Keller.
Der richtige Mix ist das GeheimnisHeißt im Klartext also, wer abnehmen will muss immer noch weniger essen und sollte sich mehr bewegen. Aus einem etwas anderen Blickwinkel betrachtet, liegt man da mit der Minuskalorien-Diät aber gar nicht mal so verkehrt. Denn empfohlen wird hier ein großer Anteil an pflanzlichen Nahrungsmitteln, wie Obst und Gemüse, die wenig Kalorien enthalten, dafür aber viele Faser- und Ballaststoffe sowie Wasser. Das füllt den Magen und mindert damit automatisch die Lust auf dickmachende Kalorienbomben. Zudem werden wichtige Vitamine, Nährstoffe und sekundäre Pflanzenstoffe zugeführt, erklärt Keller.

Auch die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) rät grundsätzlich zu einem hohen Anteil an Obst und Gemüse in der täglichen Nahrung. Mengenmäßig sollte ein Erwachsener pro Tag etwa 400 Gramm Gemüse und 250 Gramm Obst essen, erklärt die Ernährungsexpertin. Wir empfehlen eine vollwertige Mischkost, bei der an erster Stelle Vollkorn-, Getreideprodukte und Kartoffeln stehen, dicht gefolgt von Obst und Gemüse. Diese drei Nahrungsmittelgruppen machen im Ernährungskreis des DGE bereits fast 75 Prozent aus. Dann erst folgen Milch und Milchprodukte, Fisch, Fleisch, Eier und Fett.

Der Mischung muss stimmen

Diesen Mix sollte grundsätzlich auch beibehalten, wer abnehmen will und nur eben entsprechend weniger essen. Von einseitigen Diäten halte ich nichts. Sie sind im Alltag nur schwer durchzuhalten, machen unzufrieden und können im Extremfall sogar zu Mangelerscheinungen führen, warnt Keller. Das gilt auch für Diäten bei denen ausschließlich sonst so gesundes Obst oder Gemüse gegessen wird, wie zum Beispiel bei der Kohlsuppendiät – die auch zu den Minuskalorien-Diäten zählt. Ein Problem solcher Diäten ist, dass Proteine, also Eiweiße, z.B. aus Milch und Fleisch, komplett fehlen. Dazu muss man wissen, dass der Körper Proteine nicht speichern kann und sie ihm täglich wieder neu zugeführt werden müssen, erklärt die Ernährungswissenschaftlerin der DGE.

Rund 60 Gramm Eiweiß benötigt ein etwa 70 Kilo schwerer Mann pro Tag. Diese Menge steckt in ungefähr in fünf Scheiben Vollkornbrot (16 Gramm Eiweiß), einem Viertelliter Milch (8 Gramm Eiweiß), 150 Gramm Joghurt (5 Gramm Eiweiß), 250 Gramm gekochten Kartoffeln (5 Gramm Eiweiß) und 150 Gramm Kabeljau (26 Gramm Eiweiß). Bekommt der Körper über lange Zeit keine oder deutlich zu wenig Proteine von außen zugeführt, beginnt der Körper sich die fehlenden Proteine irgendwann aus den eigenen Muskelzellen, den Organen, dem Blut, Enzymen, Hormonen, etc. zu holen, warnt Keller. Das führt zu Leistungseinbußen und nicht selten auch zu Heißhungerattacken, bei denen die mühsam abgehungerten Pfunde dann nicht selten innerhalb von Stunden wieder draufgefuttert werden.