Ministerpräsident Söder: "Wir sperren Bayern nicht zu"

20.03.2020 | Stand 23.09.2023, 11:19 Uhr
Gaben weitere Einschränkungen für die Menschen im Freistaat bekannt: Innenminister Joachim Herrmann (CSU, von links), Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler), Ministerpräsident Markus Söder (CSU) und Gesundheitsministerin Melanie Huml (CSU). Die Pressekonferenz in der bayerischen Staatskanzlei wurde online übertragen. −Foto: Kneffel, dpa

Weil sich zu viele nicht an die Corona- Schutzmaßnahmen gehalten haben, beschneidet Bayern die Bewegungsfreiheit der Bürger. Manche seien "eine Gefahr für sich und andere", die man nun auch vor sich selbst schützen müsse, sagt Ministerpräsident Markus Söder.

 

Er hat es wieder getan: Noch ehe am Sonntag im Bund darüber debattiert wird, ob und gegebenenfalls in welcher Form man die Bewegungsfreiheit der Menschen im Land einschränken sollte, schafft Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) Fakten: Seit heute sind im Freistaat triftige Gründe für das Verlassen der eigenen Wohnung notwendig. Zwei Wochen soll die Ausgangsbeschränkung vorerst gelten, sagte Söder gestern.

Er selbst folgt mit seiner Entscheidung dem bayerischen Nachbarland Österreich, wo Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) gestern eine Verlängerung der Ausgangsbeschränkung bis Ostern bekannt gegeben hat. Ihm, Söder, folgte mit wenigen Minuten Abstand das Saarland mit entsprechenden Maßnahmen.

Grund für die Entscheidung waren einerseits der extreme Anstieg an Infizierten und Toten in Bayern und andererseits, dass trotz seines dringlichen Appells noch zu viele Unvernünftige sich nicht an die Sicherheitsmaßnahmen gehalten haben. "Das oberste Gebot ist, Menschen zu schützen. Auch vor sich selbst", sagte Söder. Viele verhielten sich vorbildlich, andere indes seien "eine Gefahr für sich und andere".

Bayern als Grenzregion zu Österreich und mit seiner Nähe zu Italien stehe zudem vor anderen Herausforderungen wie andere Regionen in Deutschland, machte Söder klar. Nach Rücksprache mit bayerischen Landräten und Bürgermeistern, mit Kliniken und der Wirtschaft sei er zu dem Entschluss gekommen, nicht weitere endlose Abstimmungen auf Bundesebene abzuwarten. "Wir dürfen nicht zögern", machte Söder klar, sonst drohten in Bayern Zustände wie in Italien oder Frankreich.

Mit einer Allgemeinverfügung unter Verweis auf das Bundesinfektionsschutzgesetz gelten deshalb seit heute mehrere Maßnahmen:

Alten-, Pflege- und Behinderteneinrichtungen dürfen von Angehörigen und Besuchern nicht mehr betreten werden. Nur im Sterbefall ist ein Besuch erlaubt. Ebenso ist es in Krankenhäusern, wo es Ausnahmen nur im Sterbefall, auf der Kinderstation und bei Geburten gibt.

Schließen müssen nun auch Friseure, Bau- und Gartenmärkte. Auch Gastronomiebetriebe müssen jetzt zusperren, Ausnahmen gibt es ausschließlich für die Mitnahme oder Lieferung von Speisen beziehungsweise Drive-Ins.

Söder machte zugleich klar: "Wir sperren Bayern nicht zu." Anders als in China, wo es eine totale Ausgangssperre gegeben habe, gehe es in Bayern juristisch um eine Ausgangsbeschränkung. Man wolle schließlich bei den Menschen "keinen Lagerkoller" produzieren.

Der Weg von und zur Arbeit bleibt weiter erlaubt, ebenso von und zu den Einrichtungen der Lebensmittelversorgung. Und auch der Zugang zu medizinischer Versorgung bleibe offen. Allerdings dürften Physiotherapeuten nur noch in Notfällen behandeln, andere Therapie-Praxen wie Ergotherapeuten und Logopäden müssten nun ebenfalls schließen.

Sport im Freien, etwa Joggen, das Spazierengehen sowie das Ausführen des Hundes bleiben weiter erlaubt - "alleine und mit der Familie", sagte Söder. Dabei dürfe es also nicht zu Gruppenbildung kommen, schon gar nicht zu Menschenansammlungen oder Partys. Söder: "Für die Vernünftigen ändert sich gar nicht so viel."

Innenminister Joachim Herrmann (CSU) wies darauf hin, dass man auch mit dem Auto wohin fahren dürfe, um dort zu joggen oder mit dem Hund Gassi zu gehen. All dies werde aber gegebenenfalls durch die Polizei und Ordnungskräfte kontrolliert. Wo mehrere miteinander unterwegs seien, werde auch kontrolliert, ob diese tatsächlich eine "häusliche Gemeinschaft" bilden. Zuwiderhandlungen würden bestraft - das Bundesinfektionsgesetz erlaube Strafen von bis zu 25000 Euro, so Herrmann. Das Gesetz sieht zudem Freiheitsstrafen von bis zu zwei Jahren für Zuwiderhandlungen vor. Derlei sei auch "nicht zum Zeitvertreib für Juristen gedacht", mahnte der Innenminister, es sei "sehr, sehr ernst gemeint".

Herrmann wies zudem darauf hin, dass bei Kontrollen keine Passierscheine notwendig seien - man müsse aber gegenüber der Polizei (die von der Bereitschaftspolizei unterstützt werde) glaubhaft machen, dass man zur Arbeit fahre oder zum Einkaufen.

Söder sagte, er hätte "nie gedacht, dass ich als Ministerpräsident eine solche Entscheidung treffen muss". Die Bayern seien ein freiheitsliebendes Volk, Bayern ein Freistaat und freiheitsliebendes Land. Deshalb falle ihm die Maßnahme nicht leicht. Gleichwohl sei sie notwendig, es sei eine "Entscheidung nach bestem Wissen und Gewissen", es gehe um den "Schutz von uns allen, wir müssen handeln". Je konsequenter man jetzt handle, desto größer sei die Chance, dass in Bayern die Situation nicht medizinisch eskaliere.

Jeder müsse jetzt das Seine tun, sagte Söder mit Blick auf Berlin, "wir tun das Unsere" - Bayern passe sich mit den Maßnahmen "Eins-zu-Eins an Österreich an". In Berlin will Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Sonntag über weitere Einschränkungen des öffentlichen Lebens mit den Bundesländern beraten. Dabei werde die Wirkung der bisherigen Maßnahmen schonungslos analysiert, kündigte ihr Regierungssprecher Steffen Seibert an. Kanzleramtschef Helge Braun (CDU) sieht den heutigen Samstag als eine Wegmarke. "Wir werden uns das Verhalten der Bevölkerung an diesem Wochenende anschauen", sagte er dem "Spiegel". "Der Samstag ist ein entscheidender Tag, den haben wir besonders im Blick."

Derweil zeigen die Fakten, die Söder geschaffen hat, sofort Wirkung - zumindest beim Erlass weiterer Maßnahmen. Im Saarland hat Ministerpräsident Tobias Hans (CDU) erklärt, er wolle eine Ausgangsbeschränkung erlassen - derlei wollte er noch gestern seinem Kabinett zum Beschluss vorschlagen. Auch Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg erklärten noch gestern, man wolle das öffentliche Leben weiter einschränken: In Rheinland-Pfalz hat die Landesregierung die Schließung von Gaststätten angeordnet und untersagt Versammlungen von mehr als fünf Menschen. In Baden-Württemberg sind Menschenansammlungen auf öffentlichen Plätzen mit mehr als drei Personen fortan nicht mehr erlaubt, sagte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) gestern in Stuttgart. Ausnahmen gebe es für Familien und Paare.

Freiburg hatte bereits am Vortag ein sogenanntes Betretungsverbot für öffentliche Orte beschlossen, das aber nur für Gruppen gelten soll. Es tritt am heutigen Samstag in Kraft und soll bis zum 3. April gelten. Es handelt sich nicht um eine generelle Ausgangssperre. Wer sich im Freien aufhalten möchte, darf dies weiterhin tun, allerdings nur allein, zu zweit oder mit Menschen, die in seinem Haushalt leben.

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Alexander Kain