Neuburg
"Milchwerker" protestieren gegen Leiharbeit

11.10.2010 | Stand 03.12.2020, 3:35 Uhr

Die Streikenden stellten sich bei den Neuburger Milchwerken auch vor die Werkseinfahrt. Die Anlieferung durch Milchtankwagen blieb aber unbehindert. Seit dem Jahr 2000 haben die Neuburger Beschäftigten drei Warnstreiks organisiert. - Fotos: r

Neuburg (r) Mahnfeuer auf dem Parkplatz und laute Megaphon-Ansprachen zeigten es an: Die Mitarbeiter der Neuburger Milchwerke gingen gestern früh in einen Warnstreik. Zum Schichtwechsel um sechs Uhr legten etwa 60 Beschäftigte für eineinhalb Stunden die Arbeit nieder.

"So kann man nicht mit uns umspringen", rief Siegfried Griebel seinen Kollegen zu. Der Betriebsratsvorsitzende, "Urgestein" der Milchwerke, erklärte die Gründe für den Streik. Die 14 000 Mitarbeiter der bayerischen Milchindustrie wollten endlich einen Tarifvertrag zur Altersteilzeitregelung und zur Einschränkung der Leiharbeit haben. Beim Thema Leiharbeit verzeichnen die Akteure der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) den stärksten Zuspruch. "Jeden kann es treffen", warnt NGG-Geschäftsführer Tim Lubecki (Augsburg). Die Gewerkschaft verlange gleiche Bezahlung aller Arbeitnehmer, um Ungleichheit und Druck von den Beschäftigten zu nehmen.
 

"Dieses Problem beschäftigt alle Kollegen in Deutschland", berichtet der NGG-Streikbeauftragte Hans-Peter Hinzer. Der Frankfurter war gestern um 4 Uhr früh nach Neuburg gefahren, um den Warnstreik zu unterstützen. Nach Danone (Ochsenfurt) und Hochland (Kempten) organisierte die Gewerkschaft gestern Streiks in Neuburg und Bad Wörishofen. Die NGG hat auch die Großunternehmen Zott (Mertingen) und Gropper (Bissingen) im Visier.

"Eine Provokation"

In einer ersten Verhandlungsrunde hätten die Arbeitgeber die zentralen Forderungen komplett ignoriert. "Dieses Verhalten ist für uns unverständlich und eine Provokation", sagt Hans Hartl. Der NGG-Landeschef unterstützte gestern vor Ort die Neuburger Arbeitnehmer. Der bayerischen Milchindustrie gehe es gut, jetzt müssten auch die Arbeitnehmer Anteil am Aufschwungen bekommen. Bundeskanzlerin Angela Merkel und Wirtschaftsminister Rainer Brüderle forderten nun auch höhere Löhne, so Hartl, "jetzt warten wir darauf, dass die bayerischen Milcharbeitgeber dies akzeptieren". Zur nächsten Verhandlungsrunde am 20. Oktober liegen auch die Entgeltforderung von fünf Prozent plus und die Übernahmegarantie von Lehrlingen für zwölf Monate auf dem Tisch. Die Gewerkschaft hat die bestehenden Tarifverträge gekündigt.

Der dritte Warnstreik bei den Neuburger Milchwerken in zehn Jahren war gut organisiert. Die Arbeiter der Nachtschicht trafen sich mit Kollegen der Frühschicht. Der Betrieb gilt als Bayerns größter H-Milch-Hersteller und produziert rund um die Uhr (außer Wochenende).

Neuburg gehört zur Omira-Gruppe Ravensburg und verarbeitet 220 Millionen Kilogramm Milch zu H-Milch und hochwertigen Desserts. 2500 Landwirte von Garmisch über Dachau bis Ansbach liefern nach Neuburg. Acht Prozent der 170 Mitarbeiter hätten "Leihverträge". Ein Facharbeiter und Familienvater verdiene etwa 1500 Euro netto im Monat. "Dafür muss er sich ganz schön strecken", weiß Siegfried Griebel, der seit 39 Jahren in der Molkerei arbeitet.