Melodramatisches Sittenbild

17.03.2010 | Stand 03.12.2020, 4:10 Uhr

Pferdedieb Ossip (Michael Hochstrasser, links) geht Platonow (Thomas Nunner) an den Kragen. - Foto: Bührle

Nürnberg (DK) An ihm scheiden sich die Geister: den Männern ist er ein Ekel, die Frauen fliegen auf ihn! Dabei verachtet er sie alle, die Männer wie die Frauen. Und ist doch selbst nur der heruntergekommene Dorflehrer Platonow, ein versoffenes Schwein, ein Weichei und Zyniker, der sich freilich nichts vormacht und sich selbst am meisten verachtet.

In der Inszenierung des österreichischen Gastregisseurs Georg Schmiedleitner stellt der Schauspieler Thomas Nunner diesen Platonow schonungslos aus: Schmerbäuchig wälzt er sich zwischen Batterien von Wodka-Flaschen, weinerlich warnt er die Frauen, denen er alles verspricht und nichts hält, vor sich und seinen Gemeinheiten, und winselt um die Zuneigung und Liebe seiner Frau Sascha (Ruht Macke), die er wie einen Hund behandelt und für eine dumme Gans hält.

Auf einem russischen Landgut treffen sie zusammen, die verlebte Generalswitwe Anna Petrowna (Adeline Schebesch), die hinter Platonow her ist, seine Jugendliebe Sofia (Nicola Lembach), die er verführt und wegwirft, ein Geldverleiher (Rainer Matschuck), ein Gutsbesitzer (Frank Damerius), ein Pferdedieb (Michael Hochstrasser) und allerlei junge Leute, die mit großen Worten hoch hinaus wollen, aber zu schwach sind, auch nur einen Finger krumm zu machen. Eine verlorene Gesellschaft, die sich in Selbstmitleid und Lebensekel ergeht, und der der Zyniker Platonow den Spiegel vorhält.

Das karge Spanplattenbühnenbild (Florian Parbs) im Ausweichquartier der Tafelhalle stellt die Typen und Charaktere einer Gesellschaft bloß, die in Ennui und Dekadenz untergeht. Nach zähem Anlauf mit viel leer laufendem Parlando bricht Schmiedleitners Inszenierung dann allerdings – vor allem in den Einzelszenen – zu grandiosen Überzeichnungen, bis hin zur gekonnten Karikatur, auf. Und lässt im Kontrast dazu die Schauspieler ihre Rollen mit Ironie und Sarkasmus geradezu "unterspielen". Was die mal schwermütigen, mal sphärischen Riffs der Elektro-Gitarre (Jürgen Heimüller) aufs wunderbarste untermalen. Eine effektvolle, eigenwillig-markante Inszenierung, die das Publikum mit begeistertem Applaus, vor allem für den Hauptdarsteller, belohnte.