Melancholische Zeitreise mit Stones-Hits und Eiersalat

30.03.2009 | Stand 03.12.2020, 5:04 Uhr

Ein Wiedersehen nach langer Zeit: Peterskeller-Koryphäe Emmi (Mitte) und Wirt Alex Bergér.

Eichstätt (EK) "Da kommt er ja, der alt’ Bergér": Emmi springt auf, spitzt über ihre weinrote Brille und nimmt strahlend das Begrüßungsbussi auf der rechten Wange entgegen. "Der alt’ Bergér" – das ist die eine Hälfte des legendären Wirteduos Urs und Alex, dessen Namen mit einer mindestens ebenso legendären Institution in Eichstätt untrennbar verbunden sind, dem "Keller", genauer gesagt dem Peterskeller.

Schon am früheren Abend brodelt’s hier, wenn auch sicher gesetzter und distinguierter als zu früheren Keller-Zeiten. Ein gleichmäßiger Lärmteppich erwartet den Besucher schon am Treppenabsatz – es scheint sich viel zu erzählen zu geben bei diesem Klassentreffen der besonderen Art. "Der Bedarf ist da", sagt Claudia Müller, die Wirtin des Cerberus, während sie ein volles Tablett mit Gläsern durch die Menge balanciert. "In der Früh war die Anzeige drin, abends war schon alles reserviert."

"Immer Session"

Auch für Emmi natürlich. Nachdem sie "den Alex" geherzt hat, nimmt sie mit ihm Platz an einem Tisch in der Nähe des Tresens, etwas abseits des Trubels, der sich zwei Räume weiter hinten abspielt. Emmi, mittlerweile 63, war von 1978 bis 1984 "Bardame" und absolute Autorität im Keller. "Das Flair, die Musik, immer Session", so beschreibt sie das, was den Ruf des Lokals bis heute am Leben erhält – obwohl schon seit Mitte der 90er zu und seither die Toilettenanlage der darüber liegenden Gaststätte beherbergend. "Schrecklich" sei das, stöhnt Emmi. Zu deutlich hat sie noch die vielen Abende vor Augen, als der Keller aus allen Nähten platzte und die Leute wieder einmal die Treppe hinauf standen. "Da haben wir das Bier einfach nach oben durchreichen lassen."

So ganz geheuer ist Emmi der Hype, der Jahrzehnte später um diese längst verblichene Zeit gemacht wird, anscheinend nicht. Ob sie sich denn freue? "Schon...", brummelt sie zwischen diversen Pläuschchen mit früheren Stammgästen. Auch "der Alex" scheint zunächst etwas skeptisch und beobachtet das Geschehen um sich herum leicht distanziert. Über Salatsoßen, so erzählt er, sei er damals mit Urs Pretto zusammengekommen: Die habe dieser nämlich nicht zubereiten können, er aber schon. Mit Alex’ Einstieg wurde dann auch das Tageslokal Backstube oberhalb des Peterskellers eröffnet. 1984 entschwand Urs Pretto, der den Peterskeller seit Anfang der 1970er geleitet hatte, samt seinem markanten Walrossschnauzer in die schweizerische Heimat. Über dieses unrühmliche Ende schweigt Alex Bergér sich aus.

Berühmte Leute

Da erinnert er sich lieber an "all die berühmten Leute", die der Keller hervor gebracht hat: an Franz Hawlata, den bekannten Opernsänger zum Beispiel. Und natürlich an den begnadeten Pianisten Roberto di Gioia, der es zu Klaus Doldingers Passport und auch in Lindenbergs Panik-Orchester geschafft hatte. Di Gioia, so ließen Auguren im Vorfeld verlauten, sollte eigentlich auch erscheinen zum großen Revival. Sie hatten sich leider geirrt.

Der Montag sei immer ganz wichtig gewesen, berichtet Frank Rohne, der "Rohne Fränki": Denn da sei der schmächtige Roberto vom Wochenende daheim wieder ins Internat des Gabrieli-Gymnasiums zurückgekehrt – und abends dann natürlich in den Keller zur Session. "Das war sein erstes Praktikum", lächelt Rohne. Zumindest visuell ist di Gioia an diesem Abend präsent: anhand etlicher Schwarz-Weiß-Bilder nämlich, die per Riesenbildschirm über der improvisierten Bühne von den guten, alten Keller-Zeiten künden, und die die Kundigen mit zunehmend glänzenden Augen betrachten.

Natürlich sind auch jene Protagonisten in dieser Ahnengalerie zu sehen, die den Mythos an diesem Abend von musikalischer Seite her für einige Stunden auferstehen lassen: neben dem Rohne Fränki auch Gerd "der Schlumpf" Schulda zum Beispiel. Beide zählten zu der Handvoll Musiker, die etwa ein Jahrzehnt lang das Gerüst jener Kellerszene bildete, die 1984 mit dem Wirtewechsel "gestorben" war. Bassist Reimund "Kelly" Kelldorfer konnte nicht kommen, er hatte sich just an der Hand verletzt.

"Was spielen wir eigentlich" "Das sehen wir dann schon." Als von hinten die ersten "Anfangen"-Rufe laut werden, geben sich die Improvisateure betont lässig. Im Keller war’s schließlich auch nicht anders. "Es war sicher nicht perfekt, aber es hat Spaß gemacht", beschreibt Rohne den Geist der zahllosen Zusammenkünfte, bei denen vornehmlich "Eichstätter Weltmusik" zum Besten gegeben wurde – eben alles von Jazz bis Rock.

Das typische rhythmische Zucken setzt bei den dicht gedrängten Gästen jäh ein, als Fränki in die Tasten greift, der Schlumpf den Besen rührt, und Ersatzmann Uli Schiekofer den Kontrabass zupft. Ganz cool jammen sie vor sich hin, und spätestens da ist die Uhr um 30 Jahre zurückgedreht in diesem heimeligen Gewölbe, das künftig verstärkt den Rahmen für musikalische Aktivitäten bilden soll.

Im späteren Verlauf des Abends geben sich die Stars von einst die Mikrofone und Instrumente in die Hand: der Wenzel Franz mit mittlerweile fast weißem Schopf etwa, der mit "einer alten Freundin", der Schneider Burgi, einen Stones-Hit nach dem anderen raushaut, der Pröpper Rolf, der Schäffler Fritz, der Neumeyer Hansi, die Kleesattels und wie sie alle heißen. Das leicht ergraute Publikum geht wippend und klatschend nur allzu dankbar mit auf diese Reise.

Wohnzimmer

Solche Zeiten, da sind sie sich hier einig, kommen wohl nicht mehr wieder. Im Keller, so schwärmt einer, "waren sie alle, vom Straßenfeger bis zum Bankdirektor". "Es war halt das Wohnzimmer", bringt’s Emmi auf den Punkt. Durch das neben dichtem Zigarettenqualm der Duft von Chili und Eiersalat wehte. Auch diese kellertypischen kulinarischen Preziosen gibt es selbstverständlich an diesem Abend. "So ähnlich", meint ein Dame an der Theke nach dem Genuss des ersten, sehr gelb leuchtenden Keller-Eiersalats nach ungefähr 25 Jahren zur Frage, ob er denn genau so schmecke wie damals. Das Chili scheint da schon eher die alten Gefühle herausgekitzelt zu haben: "Das muss original gewesen sein. Von dem hatte ich früher schon immer Sodbrennen bekommen", verkündet ein Kellerveteran zufrieden.