Pfaffenhofen
Meister der knappen Sprache

08.05.2011 | Stand 03.12.2020, 2:51 Uhr

"Wer hat zum Steuerbogenformular den Text erfunden" fragt sich der Lyriker Joachim Ringelnatz in einer Szene der neuen Theaterspielkreis-Produktion mit der Besetzung dieser Szene (von links nach rechts): Reinhard Haiplik, Hans Peter Harras, Jaromir Bieber und Theo Groß. - Foto: Hartmann

Pfaffenhofen (PK) "Ich bin etwas schief ins Leben gebaut!" Das Ringelnatz-Zitat als Überschrift für einen fantastischen Theaterabend ist treffend gewählt: Der gebürtige Leipziger, der in München aufwuchs und viel zu früh 1934 in Berlin mit 51 Jahren an Tuberkulose verstarb, war ein Genie – nur mit dem Leben kam er nicht recht zu Rande.

Maler, Schriftsteller, Kritiker und Weltreisender konnte Joachim Ringelnatz sein, von den Nazis freilich wurden seine Werke "feierlich" verbrannt, so wie die Werke Erich Kästners und anderer frei denkender Geister, hinter deren scheinbar fröhlicher Satire oft bittere Anklage herauszulesen ist.

Etliche lyrische Texte des Querdenkers, teils auch weniger bekannte, suchten sich Claudia El Jolani und Martina Fuchs vom Theaterspielkreis Pfaffenhofen für die Premiere des neuen Stücks aus der schier unendlichen Textflut des Meisters der knappen Sprache heraus; und die Akteure wurden dem sehr, sehr hohen Anspruch gerecht.

Man ist ja gewohnt, dass die Laien des rührigen Vereins das Niveau von Amateurtheater regelmäßig hinter sich lassen. Was sie aber dieses Mal auf die Bretter geworfen haben, war ein professioneller Hingucker. Die berühmten Bretter, die die Welt bedeuten, wurden auf den kompletten Theatersaal im Haus der Begegnung ausgedehnt, der Weltreisende nahm sozusagen die Zuschauer gleich mit beim Sammeln von Eindrücken und Erfahrungen. Teils bittere Geschichten, die – trotz der Sprache des Lächelns – oft im Halse stecken bleiben. Bistrotische statt Sitzreihen, da würde sich Ringelnatz nicht im Grabe umdrehen, nein, denn die Münchner Kaffeehausszene wurde von ihm bereichert.

Wen man von den zehn Schauspielern am meisten loben sollte? Die hervorragende Ensembleleistung verbietet fast die Nennung einzelner Namen.

Vom Morgen zum Abend war das Programm aufgebaut, von der Jugend zum Alter. So haben die jungen Damen des Ensembles (Sophia Kästle, Maxi Baumgärtner, Marion Simon und Monika Fischer) ihre Auftritte schwerpunktmäßig zu Beginn, dabei dürfen sie Natur, Frühling und Lebenslust zitieren – bis die Weisheit des Alters (Theo Groß) dem bunten Schmetterling prophezeit, dass ihn letztendlich der deutsche Professor aufspießen wird.

Gallig sind diese Worte. Und im Programmverlauf werden die Kehrseiten, die Fallen, die peinlichen Fragen ohne Antworten immer massiver. Das Tier, oft gequälte und nicht ernst genommene Kreatur, leidet und könnte damit dem Menschen zuweilen Spiegelbild sein. In einem bemerkenswerten Auftritt von Theo Abenstein, einem "Urgestein" des Theaterspielkreises, wird Mitgefühl verlangt, "wenn ein Hund kotzt", man solle hinhören und mitleiden. "Töne sind Bruchstücke von Musik."

Überhaupt laufen die Marksteine des Vereins, Theo Groß, Theo Abenstein und das Ehepaar Haiplik, sowie Hans Peter Harras und Jaromir Bieber nach der Pause, wenn der Abend quasi naht, zur Hochform auf. Ihre bitteren Pillen wirken echt und glaubwürdig. Wenn im Rotlichtmilieu die Erinnerung an die Lust größer ist als die Resonanz der Angesprochenen, dann ist ein neuer Lebensabschnitt eingeläutet.

Die Schlussszene schließlich könnte ergreifender und symbolischer nicht sein: Die Jugend (Sophia Kästle) und die Reife (Christa Haiplik) sitzen zusammen auf der Parkbank. Ihre konträre Sichtweise des Lebens und dessen Sinnfrage entspricht ihren Erfahrungswerten mit dem Leben. Voller Optimismus die eine, voller Zweifel aber die andere.

Die Dialektik eines Joachim Ringelnatz ist nicht automatisch zugänglich, doch der Theaterspielkreis brachte ein Stück Transparenz in schwierige Materie, er lehrt uns, dass man auch lachen darf, wo man weinen müsste. Verdienter Applaus! Weitere Aufführungen der 99. Produktion im 38. Jahr: am 13./14./15. Mai und 20./21./22. Mai jeweils um 20 Uhr im Haus der Begegnung. Karten bei Schreibwaren Prechter und unter Telefon (01 71) 5 37 28 55.