Absberg
"Meine Kirche hat zwei Räder"

Pfarrer Martin Geisler hält Schäferwagengottesdienste an den fränkischen Seen

21.08.2018 | Stand 02.12.2020, 15:50 Uhr
Bereits im zehnten Jahr ist der Tourismusseelsorger Pfarrer Martin Geisler mit der Schäferwagenkirche unterwegs. −Foto: Geisler/epd

Absberg (epd) Im Gottesdienst die Zehen in den Sand bohren und die Brise im Haar spüren: Im fränkischen Seenland macht das die evangelische Urlauberseelsorge möglich.

Seit zehn Jahren kommen die Touristenpfarrer dort während der Sommermonate an den Badestrand. Altar, Kreuz, Liederbücher und Sitzgelegenheiten transportieren sie in der mobilen Schäferwagenkirche - einem Anhänger aus Holz, wie ihn Wanderhirten als Bleibe nutzen. Warum das Outdoor-Angebot jährlich Hunderte Besucher anzieht, erklärt Pfarrer Martin Geisler, einer der Initiatoren.

Herr Pfarrer Geisler, vor welcher Kulisse finden die Gottesdienste an der Schäferwagenkirche statt?
Martin Geisler: Unsere Schäferwagenkirchen kommen an den Brombach- oder Altmühlsee. Dort ziehen wir sie etwa an den Sandstrand, stellen Bierbänke unter die schattenspendenden Bäume, legen Sitzdecken und Polster aus. Camper bringen ihren Liegestuhl mit, Radler halten auf dem Radweg an. Von der Seeseite her treiben Badegäste auf ihrer Luftmatratze ans Ufer. Die können dank unserer guten Lautsprecheranlage sogar im Wasser liegenbleiben, in die Natur schauen und trotzdem den Gottesdienst mitverfolgen.

Wie wirkt sich diese Umgebung auf die Gestaltung des Gottesdienstes aus?
Geisler: Liturgisch unterscheidet sich der Gottesdienst von dem in der Kirche, dass wir an der Schäferwagenkirche an keinen festen Ablauf gebunden sind. Darum konzentrieren wir uns auf einfachste Komponenten: Lied, Gebet, Verkündigung, Glaubensbekenntnis und Vaterunser. Ein schönes Element zur musikalischen Unterstützung ist, dass wir bei jedem Gottesdienst einen Posaunenchor aus der Region zu Gast haben.

Die Predigt halten Sie auch nicht ganz alleine?
Geisler: In Dialog zu treten ist die große Chance für einen Gottesdienst in freier Form mit einer Gemeinde auf Zeit. Zu Beginn frage ich die Gäste, woher sie kommen, damit sie sich gegenseitig wahrnehmen und vielleicht sogar feststellen, dass sie aus derselben Gegend stammen. Während der Predigt gehe ich dann mit dem Mikrofon durch die Reihen und beziehe die Fragen und Antworten der Menschen mit ein. Diese direkte Ansprache scheint bei vielen etwas auszulösen.

In welcher Situation befinden sich Ihre Gemeindemitglieder auf Zeit?
Geisler: Viele sind gerade unterwegs, mit dem Rad, Zelt oder Wohnmobil. Passanten bleiben stehen, und wenn es ihnen nicht taugt, ziehen sie weiter. Das ist, denke ich, Reiz und Charme der Schäferwagenkirche. Während es in der Kirche unangenehm ist, vor Gottesdienst- oder gar Predigtende zu gehen, kann sich hier jeder frei bewegen. Wichtig ist uns aber auch, thematisch auf die Zielgruppe einzugehen. Wir beobachten seit Jahren, welche Urlauber in die Region kommen und welche Bedürfnisse sie haben: Entschleunigung, Sinnsuche, Sehnsucht nach "Spiritainment". Dementsprechend gestalten wir unsere Angebote und begegnen dabei immer wieder Menschen, die sich von ihren Heimatgemeinden bereits verabschiedet haben, aber im Urlaub zu uns finden.

Was können Gemeinden von den Angeboten der Urlauberseelsorge für ihre Arbeit mitnehmen?
Geisler: Räumlich: Mal den Gottesdienst nach draußen zu verlagern, in die Natur oder auf einen Campingplatz in der Nähe. Das ist ein ganz besonderes Erlebnis! Inhaltlich: Den Gottesdienst als Auszeit begreifen, wie einen kleinen Urlaub. Als Ort, an dem Menschen nicht nur Zeit haben, in sich hineinzuhorchen und über sich nachzudenken, sondern wo sie auch offen sind für spontane Dialoge oder Experimente mit gesungenen Psalmen, zu denen man sich gemeinsam bewegt. Als Ort, an dem sich Besucher angesprochen, geborgen und getröstet fühlen - oder einfach mal loslachen dürfen.

Das Gespräch führte

Christina Geisler