Karlshuld
"Meine große Liebe war und ist der Ball"

25.08.2020 | Stand 02.12.2020, 10:41 Uhr
  −Foto: FC Augsburg/Schleer/Faro, DK-Archiv

Karlshuld - Den Namen Ignaz Seitle kennt wohl jeder Karlshulder. Doch auch weit über die Grenzen seiner Heimatgemeinde ist er bekannt. Bissig, ehrgeizig, bei Spielen auch mal laut, wenn er seine Mannen auf dem Feld aufwecken muss. Nach mehr als 53 ereignisreichen und erfolgreichen Jahren ist für ihn nun Schluss mit Fußball. Ein "brutales" Gespräch.

 

Herr Seitle, in über fünf Jahrzehnten ist eine Menge passiert. Lassen Sie uns mit zwei Anekdoten beginnen: Stimmt es wirklich, dass Sie an einem Sonntag geheiratet haben?
Ignaz Seitle (lacht): Ja, am Samstag war nämlich Punktspieltag. Aber meine Frau Margitta zeigte immer großes Verständnis, dass ich mein Fußballerdasein ausleben konnte. Sie war also auch mit der Verlegung des Hochzeitstermins einverstanden.

Und was ist dran an der Geschichte, dass Ihre Mutter den Passantrag erst nach einem einwöchigen Hungerstreik von Ihnen unterschrieb?
Seitle: Auch das ist wahr. Für meinen Papa war der Fußball das Schlimmste, was man machen konnte. Wenn er einen Ball von uns entdeckte, war die Luft gleich draußen und es gab ein paar hinter die Ohren. Gut, dass wir immer Ersatzbälle hatten. Mein Förderer Erwin Baier konnte meine Mutter nach dem Tod meines Vaters schließlich überzeugen. Dafür bin ich ihm noch heute dankbar.

Es sollte der Beginn einer äußerst erfolgreichen Laufbahn werden - als Spieler, Spielertrainer und Trainer.
Seitle: Die erste Spielzeit bei den Junioren - ich war 13 Jahre alt - schlossen wir gleich mit dem Meistertitel und sehr vielen geschossenen Toren ab.

Mit 17 Jahren spielten Sie dann bereits bei den Herren.
Seitle: Mein erster Trainer war Rudi Juen von der Gastwirtschaft Moosalm. Der SV Karlshuld zog sich damals mit Sepp Bauerschmidt einen großen Fisch vom Zweitligisten ESV Ingolstadt an Land. Er wurde danach Trainer und formte mich. Er ebnete mir auch den Weg zum ESV. Ich spielte in Karlshuld und trainierte aber schon die ganze Rückrunde in der damaligen Bayernliga-Spitzenmannschaft mit.

Der ESV Ingolstadt wurde seinerzeit vom Österreicher Willibald Hahn trainiert.
Seitle: Mein großes Glück war, dass er nicht auf große Namen mit großen Gehältern setzte, sondern auf Spieler mit Einsatz, Willen und Leidenschaft. Ich machte im ersten Jahr jedes Spiel über die volle Distanz. Nach acht Spieltagen bekam ich eine Einladung zur Bayernauswahl.

 

Nach zwei Jahren beim ESV schlossen Sie sich dem Bayernligisten VfR Neuburg an.
Seitle: Dort erlebte ich drei schöne Jahre. Mit minimalem finanziellen Aufwand und Spielern aus der Umgebung belegten wir den sechsten Tabellenplatz in der dritthöchsten Klasse.

Wie kam es dazu, dass Sie danach mit späteren Stars wie Frank Mill und Horst Hrubesch in einer Mannschaft trainiert haben?
Seitle: Mir lag seinerzeit ein Angebot von Rot-Weiß Essen vor. Meine Verpflichtung kam trotz eines unterzeichneten Vorvertrages nicht zustande, da RWE als haushoher Favorit das Aufstiegsspiel in die Erste Bundesliga gegen den 1. FC Nürnberg verloren hatte. Der Trainer musste gehen und meine Chance war dahin. Es war für mich trotzdem ein sehr großes Erlebnis, zwei Trainingseinheiten mit solchen Fußball-Größen absolviert zu haben.

In Neuburg waren Sie mehrmals tätig, unter anderem auch im Jugendbereich. Wie kam es zum ersten Engagement als Trainer?
Seitle: Ich begann meine Spielertrainerlaufbahn mit 29 Jahren beim FC Schrobenhausen. Nach ein paar Stationen bei anderen Vereinen lotste mich Franz Stanek 1997 nach Neuburg. Ich fand eine sehr starke Truppe vor. Rein sportlich gesehen, war es die beste Mannschaft in meiner Laufbahn.

Dennoch wurde der Aufstieg in die damalige Bezirksoberliga - jetzt vergleichbar mit Landesliga - zweimal auf kuriose Art und Weise verfehlt.
Seitle: Beim ersten Mal hatten wir einen nicht-spielberechtigten Torwart eingesetzt und uns sind Punkte abgezogen worden. Beim zweiten Mal konnten wir die Hürde Gerhard Hillringhaus, früher Torwart beim FC Bayern München, im Tor nicht überwinden. Nach Chancen hätten wir im Entscheidungsspiel bereits 6:0 führen müssen. Mit dem Ausgleichstreffer in der 91. Minute rettete sich der FC Emmering in die Verlängerung und versetzte uns in der 119. Minute den Todesstoß.

War das Ihr niederschmetterndstes Ereignis?
Seitle: Nein. Mein größter Schicksalsschlag war zweifelsohne der Tod von meinem Freund Erwin Appel, der nach einem Stromschlag auf dem Trainingsplatz verstarb.

 

Wenn Sie das Rad der Zeit zurückdrehen könnten, was würden Sie anders machen?
Seitle: Den größten Fehler meiner Laufbahn habe ich im Jahr 1980 gemacht. Wir haben mit dem FC Augsburg eine Supersaison gespielt und sind als Bayernliga-Meister in die Zweite Liga aufgestiegen. Doch ich habe mich statt für einen Verbleib in der Fuggerstadt für den Hausbau entschieden. Dabei hätte mein Schwiegervater das Haus auch alleine gebaut. Bitter war der Abschied aus Augsburg aber auch deshalb, weil wir unser letztes Spiel um die Deutsche Amateurmeisterschaft gegen den VfB Stuttgart in der Verlängerung verloren haben.

Was ist aus dieser Zeit geblieben?
Seitle: Unsere Mannschaft zeichnete eine Superkameradschaft aus, die bis heute anhält. Wir treffen uns noch regelmäßig mit sechs Paaren in gemütlicher Runde.

Was braucht man auf dem Weg nach oben am meisten: Glück, Talent oder die richtige Einstellung?
Seitle: Egal ob beim Sport, privat oder im Beruf: Ohne starke Willenskraft und Disziplin schafft man im Leben nichts. Man braucht auch immer Ziele und Träume, die man nicht schon nach vier Wochen wieder aus den Augen verlieren sollte. Der eigene Antrieb ist entscheidend. Im Sport reichen 30 Prozent Talent und 70 Prozent harte Arbeit, wobei zwei Dinge ganz entscheidend sind: ein klarer Kopf und ein Körper, der die große Belastung aushält.

Nun haben Sie sich in den fußballerischen Ruhestand verabschiedet. Wie schwer ist Ihnen dieser Schritt gefallen?
Seitle: Ich bin dem Herrgott sehr dankbar, dass er mich meine liebste Beschäftigung solange ausführen hat lassen. Ich hatte in meiner Laufbahn nur wenige Fehltage - sei es im Training oder beim Spiel. Meine große Liebe war und ist der Ball. Ich denke, dass ich mir das verdient habe, jetzt aufzuhören. Es ist ein gutes Lebensgefühl, körperlich fit zu sein und nun keine Termine mehr zu haben.

Bleibt endlich Zeit für die Familie, die bestimmt oftmals viel zurückstecken musste.
Seitle: Jeder, der die Seitles kennt, weiß, dass für uns die Familie einen sehr hohen Stellenwert hat. Ich freue mich nun auf die viele Zeit, die ich mit meinen lieben Enkelkindern Paul und Elena verbringen kann.

Das Gespräch führte Norbert Dengler.