Ingolstadt
"Meine Arbeit ist wie ein Kriminalroman"

12.02.2010 | Stand 03.12.2020, 4:15 Uhr

"Spätestens um 9 Uhr muss ich am Schreibtisch sitzen": Ruhestand ist für den ehemaligen Ingolstädter Kulturreferenten Siegfried Hofmann ein Fremdwort. - Foto: Herbert

Ingolstadt (DK) "Seit er im Ruhestand ist", lacht Erna Hofmann, "ist es mit ihm noch schlimmer geworden." Nur noch spazieren gehen oder auf der faulen Haut liegen? Ausgeschlossen für jemanden wie ihren Mann.

"Spätestens um 9 Uhr muss ich am Schreibtisch sitzen", bekennt der langjährige Ingolstädter Kulturreferent Siegfried Hofmann, der an diesem Samstag 80 Jahre alt wird. "An einem Sonntag nicht zu arbeiten, das kostet mich eine große Anstrengung."

Jahrzehntelang gab es kaum eine Vernissage in Ingolstadt, bei der Hofmann nicht dabei war und eine einführende Rede gehalten hat. Aber zu diesen Terminen geht er inzwischen etwas seltener. "Man muss konzentriert leben", sagte er, "die noch verfügbare Zeit wird ja immer knapper." Nur die Konzertprogramme des Georgischen Kammerorchesters, die lassen sich die Hofmanns nach wie vor nicht entgehen.

Seit sich der Historiker 1994 nach 34 Jahren aus städtischen Diensten verabschiedet hat, gilt seine ganze Energie und Arbeitskraft dem großen Geschichtswerk, von dem bisher zwei umfangreiche Bände erschienen sind. Teil drei soll im nächsten Jahr fertig werden und einen Bogen vom Barock bis zur Aufklärung spannen, von 1600 bis zum Jahr 1800.

"Nie Sport getrieben"

Da der Geschichtsschreiber dabei wie immer nichts ausspart, weder die Philosophie noch die Alltagswelt, weder die Literatur noch die Stadtpolitik, steht er vor einem Berg von Quellenmaterial, das gesammelt und ausgewertet werden will – entweder in den großen Archiven oder daheim in seinem Haus im Ingolstädter Südostviertel. "Meine Arbeit ist wie ein Kriminalroman", erzählt Hofmann, "man muss mit Bruchstücken kombinieren und weiß am Anfang nie, was am Ende relevant ist."

Wenn nicht seine Frau Erna ab und zu darauf bestehen würde, im Wohnzimmer "einen Weg freizuhalten", würde der unermüdliche Arbeiter im Weinberg der Forschung wohl eines Tages die Türen nicht mehr öffnen können, so viele Notizen und Zettel und Kopien türmen sich auf.

Immerhin, ein Heimtrainer steht auch noch im Zimmer. Aber den nutzt ausschließlich die Frau. "Ich treibe keinen Sport", schmunzelt der Jubilar, "habe nie Sport getrieben, deswegen bin auch ich so gesund geblieben." Notgedrungen muss er sich als Autor manchmal an den Computer setzen, "aber das ist nicht meine Welt". Seine Welt, das ist schon eher ein Buch, das in den vergangenen eineinhalb Jahren gewissermaßen so ganz nebenbei entstanden ist.

Natürlich nicht irgendein Buch, sondern der "Ingolstädter Psalter", die erstmalige Veröffentlichung eines Psalmenbuches, das im 15. Jahrhundert für das Ingolstädter Münster geschaffen wurde und dessen Original in der Heidelberger Universitätsbibliothek aufbewahrt wird. Die frühe Übersetzung aus dem Lateinischen, schwärmt Autor Hofmann, habe noch eine ganz andere Kraft als heutige Übertragungen. "Heute wird alles geglättet, das hat keinen Biss mehr." Der Psalter soll, herausgegeben von Beatrix Schönewald und Ludwig Brandl, in einigen Wochen erscheinen – mit dem alten Text, einer modernen Umschrift, Kommentar und einigen Faksimileseiten.

Dass zwischen all der geschichtsträchtigen Lektüre immer auch der eine oder andere Lyrikband auf dem Tisch liegen muss, versteht sich für jemand von selbst, der oft zeitgenössischen Autoren begegnet ist. Und der gegenwärtige Wandel in der Ingolstädter Museumslandschaft ist ein Thema, das den ehemaligen Kulturreferenten ebenfalls brennend interessiert, zumal unter seiner Ägide die wichtigsten Sammlungen aufgebaut wurden.

"Das Stadtmuseum wollte damals eigentlich gar niemand", glaubt er sich zu erinnern. "Das habe ich etwas auf leisen Sohlen eingerichtet." Es täte ihm leid, wenn das Museum aus dem Festungsbau Kavalier Hepp ausziehen würde, sagt er, aber erst nach einigem Zögern, denn "ich sollte als Pensionist nicht über die Pläne meiner Nachfolger reden, schon aus Respekt vor deren Eigenständigkeit".

Mut zum Persönlichen

Andererseits: "Man muss gerade im Alter den Mut zum ganz Persönlichen haben." Wenn an diesem Wochenende die vier Töchter mit ihren Familien zum Gratulieren kommen, wird unter anderem auch ein Buch über die italienischen Mosaiken von Sizilien bis Ravenna auf dem Gabentisch liegen. "Die haben wir uns fast alle auf privaten Reisen angeschaut", freut sich der Jubilar über das Geschenk seiner Frau.

Das wissbegierige Paar will mit dem Auto auch heuer wieder auf Entdeckungsreise gehen. Ziel ist Sachsen-Anhalt mit seiner Straße der Romanik und den vielen romanischen Kirchen. "Da fahren wir jedes Jahr einen Teil ab." Als die Hofmanns neulich dort waren, trafen sie zufällig jemand, dem ihr Autokennzeichen auffiel. Und was tat der Mann? Er begann 400 Jahre alte Verse des Ingolstädter Rhetorikprofessors Jacob Balde zu rezitieren – im lateinischen Original!