Mehr Spielzeit für alle

09.04.2019 | Stand 02.12.2020, 14:14 Uhr

Zu viele Kinder hören früh mit dem Fußball auf, und die Einsatzzeit bekommen vor allem körperlich überlegene Spieler. Der Bayerische Fußball-Verband steuert mit einer Reform dagegen: Bei den Jüngsten soll künftig 3-gegen-3 ohne Torwart gespielt werden.

Ingolstadt (DK) Diese Nachricht beschäftigt viele Amateurvereine in ganz Bayern: Der Bayerische Fußball-Verband (BFV) plant, den Kinderfußball zu reformieren. Auf lange Sicht soll ohne Torwart, mit weniger Spielern und auf vier kleine Tore gespielt werden. Ziel der Reform: Mehr Spielpraxis für alle Kinder. Mehr Einsatzzeit und mehr Ballkontakte - Ralf Böhm, der Jugendleiter der DJK Ingolstadt, kann sich mit diesem Ziel anfreunden. Mit der Umsetzung der Reform hat er aber ein Problem: "Jetzt wird krampfhaft versucht, irgendwas neu zu erfinden", sagt er. "Die Basis ist aber nicht eingebunden, die Kinder und die Eltern wissen von nichts. Auch die Schulen sind nicht involviert."

Tatsächlich hat die E-Mail des BFV an knapp 3000 bayerische Vereine mit mindestens einem Jugendteam Ende März viele überrascht. Mit der neuen Richtlinie für den Minifußball soll die Spielform für G-Junioren (U6 und U7) und F-Junioren (U8 und U9) geändert werden. Statt 7-gegen-7 soll künftig auch 3-gegen-3 gespielt werden können, ohne Torwart, auf vier Mini-Tore (1,80 x 1,20 Meter oder 1,20 x 0,80 Meter). Alternativ könne auch auf zwei etwas größere Tore (3 x 1,65 Meter) gespielt werden.

Weil auf einem 20 bis 25 Meter mal 25 bis 30 Meter großen Spielfeld nun weniger Spieler und mehr Tore sind, erhofft sich der BFV für jeden Spieler mehr Ballkontakte und mehr Zweikampfsituationen. Auch Spielübersicht und Spielintelligenz sollen besser geschult werden. "Jeder ist mal Verteidiger und mal Stürmer", sagt Florian Weißmann, Verbandsjugendleiter beim BFV. "Da weniger Spieler auf dem Feld sind, können sich die Kinder freier entfalten." Und weil man Treffer nur innerhalb einer Schusszone (sechs Meter vor dem Tor) erzielen darf, gewinnt nicht mehr die Mannschaft, die den einen Spieler mit einem harten Schuss hat. "Es geht darum, mehr miteinander zu spielen."

Der Jugendleiter des SV Karlskron, Sascha Oppelcz, bewertet diese Idee positiv. "Ich finde es richtig, dass es mehr Möglichkeiten gibt, zu spielen, und dass die Kinder mehr Ballkontakte haben." Auch die Rotationspflicht begrüßt er. Erzielt ein Team ein Tor, müssen beide Teams einen Spieler auswechseln.

"Die durchschnittliche Einsatzdauer eines Spielers steigt", sagt BFV-Jugendleiter Weißmann. Vor allem Fußballern, die in den späteren Monaten eines Jahrgangs geboren wurden, soll diese Regelung helfen. Denn diese Kinder haben häufig einen körperlichen Nachteil gegenüber anderen Spielern, die zu Beginn eines Jahres geboren wurden - und werden darum seltener eingesetzt. "Wir sehen beispielsweise in der U15-Bayernliga, dass dort fast nur Spieler zum Einsatz kommen, die in der ersten Jahreshälfte geboren wurden", sagt Weißmann.

Mehr Einsatzzeiten, unabhängig von der körperlichen Entwicklung - Andreas Klingshirn, Jugendleiter des FC Gerolfing, findet das gut. "Die Idee, dass alle Spieler drankommen, ist sinnvoll." Und auch spielerisch erkennt er bei der 3-gegen-3-Variante Vorteile: "Beim 7-gegen-7 stehen immer auch Kinder rum, oder es gibt das bekannte Knäuel aus Spielern." Wo der BFV aber wohl mehr Überzeugungsarbeit leisten muss, ist der Verzicht auf den Torhüter. Denn erst ab der E-Jugend soll ein Torwart ein Handballtor (3 mal 2 Meter) hüten. Vorher sei eine Spezialisierung aus Sicht des BFV noch nicht notwendig. Als unnötig bezeichnet Karlskrons Jugendleiter Oppelcz diese neue Torhüter-Regelung: "Heutzutage weiß ohnehin fast jeder Trainer, dass er allen Spielern ein Gefühl für Fußball beibringen und sie deswegen auf allen Positionen einsetzen muss."

Mit Widerstand muss der BFV auch beim Thema Organisation und Finanzen rechnen. Das betrifft die Anschaffung der kleineren Tore und anderer Fußbälle. Schließlich sollen G- und F-Junioren künftig mit einem Leichtspielball (Größe 3), die E-Junioren mit der Größe 4 spielen. "Die Vereine müssen in Ausrüstung 700 bis 800 Euro investieren", sagt Ingolstadts Jugendleiter Böhm. Dass die Vereine da erstmal "schlucken müssen", kann Weißmann verstehen. Aber letztlich sei es auch eine Investition in die Zukunft. DJK-Jugendleiter Böhm findet dagegen: "Statt das System umzustellen, sollte der Verband lieber die Vereine finanziell unterstützen." Es gebe zu wenige Trainer und Betreuer - hier eine Lösung zu finden, würde viel eher verhindern, dass Kinder und Jugendliche mit dem Fußball aufhören.

Aber genau das ist ja das große Ziel des BFV. Während im E-Jugend-Alter rund 38000 Kinder Fußball spielen, sind es im A-Jugend-Bereich nur noch etwa 19600. Darum will man den Kinderfußball attraktiver gestalten. Weiterer BFV-Ansatz: Den klassischen Spielbetrieb durch Turniere oder sogenannte Festivals ersetzen. "Auf ein Großfeld passen acht bis zehn Spielfelder für Kinderfußball. Es können also in einer Stunde gleichzeitig 64 Kinder Fußball spielen", nennt Weißmann als Vorteil. Die Vereine wären zudem flexibler bei der Zusammenstellung der Teams als im regulären Spielbetrieb.

Die Jugendleiter in der Region sind skeptisch. "Solche Festivals bedeuten mehr Organisation, und man muss es erstmal schaffen, für diesen Zeitraum einen Platz freizubekommen", sagt Karlskrons Oppelcz. Auch Klingshirn sieht die Turnierform als "Herausforderung, die auf die Vereine zukommt".

Zunächst ist die Reform aber nur ein Zusatzangebot, welches ab dem 1. Juli in möglichst allen Bezirken laufen soll. "Der Spielbetrieb bleibt so organisiert, wie er bisher ist, und wird nicht von heute auf morgen eingestampft. Das macht ja auch gar keinen Sinn. Wir haben seit 2016 in verschiedenen Kreisen und Bezirken Pilotprojekte verankert. Jetzt sammeln wir bayernweit Erkenntnisse, setzen da natürlich auf Rückmeldungen der Vereine. Der Prozess ist angestoßen", sagt Weißmann. Langfristig sollen diese Festivals aber den Spielbetrieb schon ersetzen. "Grundsätzlich sind wir von der neuen Spielform überzeugt, es wird Kindern und Vereinen helfen, dass mehr Kicker länger am Ball bleiben. Aber das muss sich erst einspielen", sagt Weißmann. Klingshirn setzt auf gemeinsames Handeln zwischen Vereinen und Verband. Und Oppelcz erinnert an die Einführung des 9-gegen-9 im Jugendbereich: "Am Anfang wird immer viel gejammert, am Schluss hat es sich dann doch bewährt."