"Mehr Schaden als Nutzen"

Vatikan-Instruktion zu Reformen in Kirchengemeinden sorgt für Diskussionen - auch unter Bischöfen

24.07.2020 | Stand 23.09.2023, 13:08 Uhr
Nach neuesten Vorgaben des Vatikans darf in der katholischen Kirche nur ein geweihter Priester - auf dem Foto nimmt der Augsburger Bischof Bertram Meier gerade eine Priesterweihe vor - Leitungsaufgaben in einer Pfarrgemeinde ausüben. Dauerhaft eingesetzte Teams aus Priestern und Laien mit Leitungsfunktion sind demnach nicht erlaubt. −Foto: Schnall, Bistum Augsburg

Rom/Augsburg/Eichstätt - Offene und unmissverständliche Kritik am Vatikan aus den Reihen der deutschen Bischöfe: Das hat es seit der Diskussion um die Schwangerenkonfliktberatung in den 1990er-Jahren nicht mehr gegeben.

Die Kirchenleitung in Rom hat eine Instruktion veröffentlicht, die der dauerhaften gemeinsamen Leitung von Pfarreien durch geweihte Priester und Gläubige in einer recht deutlichen Form eine Absage erteilt. Nur wenige Bischöfe begrüßen das Papier, die höchsten Laienvertreter reagieren empört.

Gute 30 Seiten umfasst die überraschend veröffentlichte Anweisung aus Rom, erst am Sonntag wurden die Bischöfe über die geplante Veröffentlichung informiert, am Montag erfolgte bereits die Bekanntgabe. Worum geht es? Zurzeit gibt es in ganz Deutschland 13000 Priester, vor 30 Jahren waren es noch 20000. Im vergangenen Jahr wurden nur 63 Männer neu zu Priestern geweiht - bei immerhin noch 22,6 Millionen Katholiken. Jedes Jahr wird in den Kirchen neu um mehr Priesternachwuchs gebetet - ohne Erfolg. Es herrscht eine Unterversorgung. Die Bistümer mussten darauf zwangsläufig reagieren. Sie haben immer mehr Pfarreien zu größeren Gemeinden zusammengelegt. An deren Spitze steht dann oft nur noch ein Team von zwei oder drei Priestern. Natürlich können die nicht die ganze Arbeit allein bewältigen. Viele ihrer früheren Funktionen werden deshalb mittlerweile von bezahlten Mitarbeitern - zum Beispiel Gemeindereferenten - oder auch von Ehrenamtlichen ausgeübt.

Ein Beispiel dafür ist das Erzbistum München-Freising: Dort gibt es entsprechende Pilotprojekte, etwa im Pfarrverband Neuaubing-Westkreuz in der Seelsorgeregion München. Dort ist ein fünfköpfiges Leitungsteam eingesetzt, von den Gemeindemitgliedern vorgeschlagen, vom Pfarrgemeinderat und der Kirchenverwaltung gewählt. Der Pfarrer gehört nicht dazu. Kardinal Reinhard Marx selbst hat dieses Projekt auf den Weg gebracht, als Modellversuch sozusagen, und er stützt sich dabei auf das Kirchenrecht. Und, so heißt es in den Unterlagen, ist dieses Modell letztlich auch auf die nicht mehr zu gewährleistende flächendeckende Versorgung durch Priester zurückzuführen. Das ist aber in Rom offenbar nicht gewollt, wie aus dem vom Papst Franziskus ausdrücklich gebilligten Text hervorgeht: Pfarreien können demnach nur in begründeten Ausnahmefällen aufgehoben oder verschmolzen werden - und Priestermangel ist laut Vatikan generell kein akzeptabler Grund dafür. Zudem: Die Leitung einer Pfarrei durch ein Team ist dem Vatikan zufolge nicht gesetzeskonform.

Die Frage ist, was nun passiert: Der Mainzer Bischof Peter Kohlgraf will trotz der Instruktion auf dem eingeschlagenen Weg bleiben. Er schreibt: "Ich kann den Eingriff in meine bischöfliche Hirtensorge nicht so einfach hinnehmen. " Auch der Osnabrücker Bischof Franz-Josef Bode weigert sich, die neuen Organisationsformen wieder abzuschaffen. Der Bamberger Erzbischof Ludwig Schick sieht "mehr Schaden als Nutzen" durch das Papier, das seiner Ansicht nach besser gar nicht erst hätte veröffentlicht werden dürfen. Für einen Kirchenrechtler wie ihn sei es nicht hinnehmbar, nur an die Vorschriften des Gesetzbuches von 1983 zu erinnern, ohne die Entwicklung vor Ort genauer in den Blick zu nehmen.

Im Bistum Passau haben der damalige Generalvikar Klaus Metzl und Bischof Stefan Oster das Projekt? "Einführung von Verwaltungszentren" angestoßen und bereits so gut wie abgeschlossen. Um den Herausforderungen der Zukunft wie dem Priestermangel zu begegnen, sollte das Bistum neu strukturiert werden. Bischof Oster sagt gegenüber unserer Zeitung, dass ihm Evangelisierung und eine missionarische Ausrichtung der Kirche, wie sie Papst Franziskus einfordere, ein wichtiges Anliegen seien. "Um die Bedeutung und etwaige Konsequenzen aus der umfassenden Instruktion aus Rom für das Bistum Passau abschätzen zu können, soll das Dokument erst einmal studiert und besprochen werden. "

Oster will aber den Beratungen des Ständigen Rats im August nicht vorgreifen: Dann wollen sich die Bischöfe zu der Instruktion austauschen. Ähnlich reagiert das Erzbistum München-Freising. Von dort war zu hören, man prüfe das Dokument, bewerte es momentan aber nicht. Hiltrud Schönheit, die Vorsitzende des Katholikenrats in München, sagte, sie sehe, was im Netz gerade los sei: "Viele sagen: Vielleicht muss man doch austreten. " Vom Bistum Regensburg war keine Stellungnahme zu erhalten. Der Eichstätter Bischof Gregor Maria Hanke wollte das Papier zunächst studieren, ein Sprecher kündigte ein Statement für Montag an.

Der Augsburger Bischof Bertram Meier kann nach seinen Worten mit dem römischen Schreiben für seine Diözese "gut leben": Die pastorale Raumplanung 2025 und die Satzungen für die Laiengremien seines Bistums bewegten sich in dem von dem Dokument vorgegebenen Rahmen. "Bei allem Einsatz der Mitglieder des Volkes Gottes (Laien) kommt dem Leitenden Pfarrer einer Seelsorgeeinheit der Dienst der Einheit zu", betont Meier. Dieser leite "im Auftrag Jesu Christi die Pfarrei beziehungsweise Pfarreiengemeinschaft". Meier sieht die Instruktion "ganz auf der Linie von Papst Franziskus", eine wahre Erneuerung der Kirche setze dem Augsburger Bischof zufolge "weniger auf eine Veränderung von Strukturen". Sie müsse tiefer an die Substanz gehen und haben "eine geistliche Reform" zum Ziel.

Die Laienbewegung "Wir sind Kirche" rief zum Widerstand gegen die Anweisungen aus Rom auf: "Mit dieser Instruktion werden vor allem auch alle Frauen von allen Leitungs- und Weiheämtern ferngehalten", teilte ihr Sprecher Christian Weisner in München mit. "Diese Instruktion erscheint wie ein letzter Aufschrei einer sterbenden Religionsdiktatur. " Und der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (Zdk), Thomas Sternberg, bescheinigt dem Papier eine "abenteuerliche Realitätsferne".

DK/dpa

Marco Schneider, Stefan Rammer