Nürnberg
"Mehr Mensch, weniger Auto"

Seit dem Beschluss des Mobilitätspakts haben Nürnberger Radfahrer öfter Vorfahrt

27.01.2022 | Stand 22.09.2023, 23:29 Uhr
Ein neuer verkehrspolitischer Wind weht seit dem Mobilitätsbeschluss durch Nürnberg. Auch in der vielbefahrenen Ostendstraße beim Business-Tower soll der Radverkehr mehr Platz bekommen und Autospuren wegfallen. −Foto: Verkehrsplanungsamt Stadt Nürnberg.

Nürnberg - Vor genau einem Jahr hat Nürnberg den "Mobilitätsbeschluss" auf Drängen von Fahrrad-Aktivisten mehr oder weniger zähneknirschend beschlossen. Nach dem Motto "Mehr Mensch, weniger Auto" haben Befürworter den Startschuss vor zwölf Monaten euphorisch gefeiert.

Zum ersten Geburtstag ziehen die Antreiber des Beschlusses eine eher gemischte Bilanz. Obwohl der umweltfreundliche Zweirad-Verkehr in den letzten zwölf Monaten spürbar gestiegen sei, würden noch zu wenige neue Radwege gebaut. "Ich bin überhaupt nicht in Feierlaune", sagt beispielsweise Linken-Stadtrat Titus Schüller und verweist auf das "365-Euro-Ticket", das fester Bestandteil des Mobilitätspakts sei und aktuell von der Stadtspitze seiner Meinung nach offensiv in Frage gestellt werde.

"Im Rathaus stehen beim günstigen Jahresticket für den Nahverkehr derzeit viele auf der Bremse", ärgert sich Schüller. Immerhin hätte der "Mobilitätsbeschluss" vor einem Jahr den Radverkehr schlagartig in den Mittelpunkt gerückt. "Hier passiert bereits eine ganze Menge", lobt Schüller und moniert lediglich, dass beim Bau neuer Radwege noch mehr Tempo gemacht werden müsse. Immerhin seien in der Verwaltung neue Stellen für die Planung von Radwegen geschaffen worden.

"Vernünftiger Kompromiss"angesichts knapper Mittel

Ursprünglich sollten über 30 neue Verkehrsplaner eingestellt werden. Am Ende sind nach einem Kompromiss knapp 20 neue Planstellen zustande gekommen. Für Markus Stipp, Mitinitiator des Nürnberger "Radentscheids" und Ortschef des Fahrrad-Clubs (ADFC) ist es aufgrund der zunehmend angespannten Haushaltslage ein vernünftiger Kompromiss gewesen. "Auch wenn es weniger Planstellen sind als ursprünglich vorgesehen, war es wichtig, dass uns alle demokratischen Stadtratsfraktionen und der Kämmerer versichert haben, dass an der fristgerechten Umsetzung des Mobilitätsbeschlusses festgehalten wird", findet Stipp.

Richtig freuen können sich die Rad-Aktivisten dagegen über den fahrradfreundlichen Umbau zentraler Autoachsen wie in der vielbefahrenen Bayreuther Straße beim Stadtpark. Dort sollen jeweils eine Autospur in beiden Fahrtrichtung wegfallen, um mehr Platz für den Radverkehr schaffen zu können.

"Zuversichtlich schauen wir auch auf die aktuellen Planungen für die Ostendstraße", sagt Nicola A. Mögel die stellvertretende Kreisvorsitzende der "Radler-Lobbyisten". Dort sollen die Öffentlichen Verkehrsmittel, Fußgänger und Radfahrer ebenfalls mehr Platz bekommen. Positiv seien auch die vielen neuen Fahrradabstellplätze in Nürnberg. Auch wenn es bei weitem noch nicht die im Mobilitätspakt zugesagten eintausend Rad-Stellplätze pro Jahr seien. Auch hier müsse Nürnberg "schneller werden", fordert die "Fahrrad-Fraktion" und lobt gleichzeitig das "engagiertere Ordnungspersonal", das seit dem Beschluss "zunehmend" egoistisch parkende Autos mit saftigen Knöllchen ins Visier nehmen würde.

Erklärte Absicht des neuen Paktes ist es, den Anteil der Autoverkehrs deutlich zu verringer. Bis zum Jahr 2030 sollen zahlreiche Maßnahmen zur Stärkung des Fuß- und Radverkehrs sowie des öffentlichen Nahverkehrs realisiert werden.

"Ein Jahr Mobilitätsbeschluss heißt, dass sich Nürnberg in Riesenschritten auf den Weg macht", freut sich der städtische Bau- und Planungsreferent, Daniel F. Ulrich. Das Bauprogramm für Radwege sei auf zehn Millionen Euro pro Jahr aufgestockt worden. Nürnberg gehe damit endlich die großen Fehlstellen im Radwegenetz an. Muster-Beispiele wie die Umbaupläne für die Ostendstraße und Bayreuther Straße würden "den echten politischen Willen" belegen, den öffentlichen Raum "neu zu verteilen". Die sehr ausführliche Debatte zu den Projekten würde laut Ulrich beweisen, dass man es sich mit der Umverteilung nicht einfach macht.

Weniger Beton und clevere Ampelschaltungen

"Alle Mobilitätsarten sollen ihren Platz in der Stadt haben, aber ein wenig gerechter verteilt als bisher", bringt Ulrich den neuen Plan auf den Punkt und verweist auf die Chancen der neuen Marschrichtung. Unter der Überschrift "Intelligenz statt Beton" würden zukünftig beispielsweise in der Ostendstraße "sehr clevere Ampelschaltungen" installiert werden, um mehr Autos auf den reduzierten Fahrspuren durchschleusen zu können. Dank der intelligenteren Verkehrsführung würde Platz für neue Radwege und neue Bäume entstehen. Bei der gerechteren Umverteilung des knappen Verkehrsraumes stoße die Stadt allerdings weiterhin an Grenzen, gibt Ulrich zu. Manchmal müssten weiterhin Kompromisse zu Gunsten der Autos und zu Lasten der Radler getroffen werden.

Generell dürfe es in der Verkehrsdebatte aber kein Schwarz-Weiß-Denken geben, findet der Nürnberger Verkehrsreferent. "Wir müssen in jedem Einzelfall mühevoll Kompromisse auszuhandeln, die dem Ziel der Verkehrswende in der menschengerechteren Stadt dienen", wünscht sich Daniel F. Ulrich zum ersten Geburtstag des offensichtlich richtungsweisenden Mobilitätsbeschlusses.

HK

Nikolas Pelke