Medellin
Medellins Metamorphose

18.10.2018 | Stand 23.09.2023, 4:43 Uhr
Kult um Pablo Escobar: Der Drogenbaron wurde 1993 erschossen - und doch sind in seiner Heimatstadt seine Spuren überall zu finden. Zahlreiche Touristen pilgern an sein Grab (Mitte) oder zum "Monaco", wo er einst wohnte (rechts). −Foto: Noriega/dpa/Belzer

Die einst gefährlichste Stadt der Welt will mit modernen Projekten ihr Image aufpolieren - weg von Mord, Totschlag und Gewalt. Und vor allem weg von Pablo Escobar. Doch der mediale Hype um den kolumbianischen Drogenbaron erschwert dieses Ziel.

Medellin, 2,5-Millionen-Metropole im Nordwesten Kolumbiens, war früher berüchtigt für sein Drogenkartell. Von hier aus wurde die Welt mit Kokain beliefert - und die Mordrate war die höchste weltweit. Große Teil der Stadt wurden vom Drogenbaron Pablo Escobar beherrscht, der Ende der 1980er-Jahre mit einem Vermögen von knapp drei Milliarden Dollar einer der reichsten Männer der Welt war der 80 Prozent des internationalen Kokainmarktes kontrollierte. Doch Escobar war auch sozial engagiert: Er finanzierte Krankenhäuser, Sozialwohnungen sowie Schulen und genoss besonders beim ärmsten Teil der Bevölkerung einen guten Ruf. Er baute Fußballstadien, Büro- und Apartmentkomplexe, Diskotheken und zahlreiche Restaurants - noch heute sind seine Spuren sichtbar.


Sein Zuhause in Medellin war das "Edificio Monaco": Wohnhaus, Machtzentrale, Folterkeller und Geldschrank unter einem Dach. In dem achtstöckigen Apartmenthaus lebte er mit seiner Frau und den beiden Kindern, bis 1988 das rivalisierende Cali-Kartell einen Anschlag darauf verübte. Seitdem steht das Gebäude leer. 1993 wurde Pablo Escobar getötet.

22 Jahre später veröffentlichte der amerikanische Streaming-Dienst Netflix die Serie "Narcos", die sich in zwei Staffeln mit dem Leben und Tod des Drogenbosses beschäftigt. Millionen junger Leute auf der ganzen Welt haben diese Serie gesehen - und viele von ihnen wurden neugierig. Auf Kolumbien, auf Medellin.

Das "Monaco" würde in der Stadt eigentlich nicht sonderlich auffallen, es ist ein verwahrlostes Haus, wie es sie in Südamerika an jeder Ecke gibt - nur neuerdings stehen ständig Menschen davor und schauen durch den Zaun. Außer einem leerstehenden Haus ist da aber nicht viel zu sehen. Nur zwei Dinge fallen auf: An der Fassade sind die Schatten von entfernten Messingbuchstaben zu erkennen: "Escobar". Und im Garten steht eine riesige, verrostete Satellitenschüssel.

Pablo Escobar hat Medellin berühmt gemacht. Berühmt-berüchtigt. Bei seinem Krieg gegen den Staat kannte er keine Gnade, seinen Anschlägen fielen Tausende Menschen zum Opfer. Kriminelle und Unbeteiligte, Richter und Journalisten, selbst einen amtierenden Minister ließ er ermorden.

Heute hat sich die Situation enorm verbessert, Medellin ist sicherer geworden. Mit Seilbahnen und einer riesigen Rolltreppe, die eine Höhe von 384 Meter überwindet, sind die Slums an den Berghängen mit der Stadt verbunden. 2010 wurden die insgesamt sechs Freiluft-Rolltreppen eröffnet, die Fahrt dauert sechs Minuten und ist kostenlos. Sie erleichtern den Bewohnern den Aufstieg in ihre Stadtteile - so sind sie nicht mehr abgeschnitten vom Leben im Tal, wo es die meisten Arbeitsplätze gibt. Diese innovativen Nahverkehrskonzepte haben der Stadt 2012 einen Preis für nachhaltigen Transport beschert, ein Jahr später kürte das "Wall Street Journal" Medellin zur "innovativsten Stadt der Welt". In den ehemals gefährlichsten Vierteln der Stadt wurden Schulen eröffnet und soziale Initiativen gegründet. Jugendliche leben ihre Kreativität an den Mauern mit Spraydosen aus - Graffitis und bunt angemalte Dächer haben die Slums auch optisch verändert.

Es gibt viel zu sehen und zu entdecken in Medellin - doch viele Touristen wollen vor allem eines: wandeln auf den Spuren Pablo Escobars. Der städtische Tourismus-Verband bewirbt die Touren nicht, aber man kann sie fast überall buchen. Sie führen die Touristen zu den wichtigsten Orten im Leben des Drogenbarons: Neben dem "Monaco" sind das sein luxuriöser Landsitz außerhalb der Stadt und sein Grab, das einer Pilgerstätte ähnelt. Auch der Ort, an dem er erschossen wurde, wird von neugierigen Touristen besucht. Pablo Escobars Leben voller Skrupellosigkeit, Gewalt und Brutalität ist Pop-Kultur geworden. Und: Mit seinem Leben ist Geld zu verdienen. An vielen Ecken der Stadt kann man Pablo-Souvenirs kaufen.

Für viele in Medellin ist das kaum auszuhalten. Sie empfinden es als Hohn, dass ein derartiger Kult um einen Mann betrieben wird, der für sie nichts anderes war als ein brutaler Mörder und Terrorist. Und auch die Stadtspitze stört sich daran. Im April leitete Bürgermeister Federico Gutierrez mit ersten Hammerschlägen den Abriss des "Monaco" ein. "Dieses Symbol der Illegalität und des Teufels wird dem Erdboden gleichgemacht", sagte er. An gleicher Stelle soll ein Park entstehen, der an die Opfer des Terrors erinnert. Nur: Bis heute steht das "Monaco" immer noch. Immerhin ist zwischenzeitlich ein Museum in der Stadt geschlossen worden, in dem persönliche Besitztümer Escobars ausgestellt waren. Das Museum hatte keine Genehmigung. Ein weiterer Grund für die Schließung war, dass es "einem der traurigsten Verbrecher" gewidmet gewesen sei, "die Medellin am meisten geschadet haben", teilten die Behörden mit.

Viele in Medellin würden die Erinnerung an den Drogenbaron am liebsten komplett auslöschen - doch das ist schwierig. Nicht nur "Narcos" hat den schon fast vergessenen Escobar wieder in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt - auch in Kolumbien sind Telenovelas rund um sein Leben zu sehen. Doch Medellin wehrt sich. Im Zentrum steht die Frage: Wer hat die Deutungshoheit über diese Periode der Geschichte des südamerikanischen Landes? Die Straße oder die Behörden? Wer sind die Protagonisten? Die Täter oder die Opfer?

Für die Stadtverwaltung ist die Antwort klar: Die Opfer sollen im Mittelpunkt der Erinnerungskultur stehen. 2011 wurde das Museo Casa de la Memoria eröffnet - ein modernes, interaktives Museum, das in einer großen Ausstellung an die Drogen- und Bürgerkriege in Kolumbien seit 1948 erinnert. Auf mannshohen Bildschirmen erzählen Überlebende ihre Geschichten, in einem anderen Raum wird an die Toten gedacht - auf alten Fotografien wird mit Lichteffekten kenntlich gemacht, welche Menschen aus einer Familie nicht mehr am Leben sind. Ein bedrückender Ort.

Ein Museum auf der einen, der Abriss des "Monaco" auf der anderen Seite. In einem Interview erklärte Bürgermeister Gutiérrez kürzlich, dass die Stadt auf diesem Wege auch zeigen möchte, dass sie neugeboren werde, dass Gesetz über Chaos gesiegt habe. Dass sich die Zeiten geändert haben.

 

Verena Belzer