Ingolstadt
Mathe pauken im Wohnwagen

Gudula Hausner-Bittl hilft Schaustellerkindern auf dem Herbstfest bei den Hausaufgaben

04.10.2012 | Stand 03.12.2020, 1:00 Uhr

Voller Konzentration: Jeremy sitzt mit Lehrerin Gudula Hausner-Bittl über seinen Englisch-Hausaufgaben - Foto: Brandl

Ingolstadt (DK) Fernando (6) sucht nach dem „i“ im Igel. Sein Bruder Jeremy (12) brütet zeitgleich über seinen Englisch-Hausaufgaben. Zwischen ihnen sitzt Gudula Hausner-Bittl, hilft und passt auf. Zwei Jahrgänge. Zwei Unterrichtsstoffe. Eine Lehrerin. So sieht eine Förderstunde auf dem Volksfestplatz aus. Genauer gesagt, in der beengten Sitzecke eines Wohnwagens, eingepfercht zwischen den vielen anderen Schaustellerwagen, die sich hinter den Fahrgeschäften aufgebaut haben. Die beiden Brüder sind Schaustellerkinder. Sie sind mit ihren Eltern mehrere Monate im Jahr unterwegs. Die Kinder finden das „cool“. Für Eltern und Lehrer ist es eine ständige Herausforderung.

Hausners Zeigefinger huscht wie an der Schnur gezogen über die auf dem Tisch verteilten Hefte und Arbeitsblätter. Teils in Sekundenschnelle, fast schon simultan, wechselt sie die Themen: Von der Buchstabenlehre zum Bruchrechnen und wieder zurück. Mit einer Routine und Gelassenheit, dass man nur staunen kann. Die Buben machen ihre Sache gut, auch wenn manch heimgebrachte Zensur heute ein wenig zu wünschen übrig lässt. „Die Kinder hier sind total motiviert“, stellt Hausner fest. In eine richtige Schule müssen Fernando und Jeremy am Vormittag trotzdem gehen. In Ingolstadt ist es die Schule auf der Schanz. Zumindest für die Zeit ihres Aufenthalts. Im Winter gehen sie dann für mehrere Wochen auf ihre Stammschule am jeweiligen Wohnort. Wenn das Jahr vorbei ist, werden es 15 verschiedene gewesen sein, auf denen sie die Bänke drücken durften. Manuela Hübsch, die Mutter von Fernando und Jeremy, hat das soeben im Kalender nachgesehen. Ein schlechtes Gewissen hat sie wegen des häufigen Schulwechsels ihrer Buben nicht: „Wir sind selbst so zur Schule gegangen“, sagt die Schaustellertochter aus Greißelbach in der Oberpfalz, „hatten aber früher keinen Bereichslehrer.“ Sie fände es jedoch schön, wenn sich die Lehrer in den Schulen mehr in die Kinder hinein versetzen, sie mehr fördern und ihnen mehr Hausaufgaben aufgeben würden. Nach einer Dreiviertelstunde werden die Hefte und Bücher wieder zugeklappt. Hausner, eine von sechs Bereichslehrerinnen in Oberbayern, macht sich auf den Weg zum nächsten Wagen. Eigentlich ist die Eichstätterin Hauptschullehrerin an der Volksschule Friedrichshofen. Drei bis fünf Nachmittage die Woche verbringt sie aber auf dem Herbstfest, um Schaustellerkinder schulisch zu fördern. Drei Stunden wöchentlich wird sie dafür von ihrem Arbeitgeber, der Regierung von Oberbayern, freigestellt. Manchmal zu wenig: Dann muss die engagierte Pädagogin Zeit drauflegen, will sie allen Schülern gerecht werden. Denn „wenn es dumm läuft“, sagt sie, „dann nehmen sie im Unterricht nie richtig das Einmaleins durch oder lernen bestimmte Buchstaben nie kennen.“ Die Förderstunde im Wohnwagen ist deshalb als Ergänzung zum Unterricht gedacht. Jeremy darf sich heute trotz seiner durchwachsenen Englischnote freuen. Er hat perfekt nachgearbeitet und Hausner hat ihm dafür einen Smiley ins Heft gemalt. Daneben steht: „Very fine!“