Riedenburg
Massig Schnee und bis zu minus 25 Grad

Ski und Rodel gut: Ein Blick zurück auf die Riedenburger Winter in der Nachkriegszeit

24.01.2021 | Stand 23.09.2023, 16:35 Uhr
Hartwig Streit
Tief eingeschneit präsentierte sich Riedenburg in der Nachkriegszeit häufig. Das Foto zeigt den Jachenhausener Berg, von dem aus mit dem Schlitten rasante Abfahrten ins Tal möglich waren. Den Autoverkehr mussten die jungen Sportler weiland noch nicht fürchten. −Foto: ArchivHalbritter/Streit

Riedenburg - Wie erlebten die Riedenburger vor rund sieben Jahrzehnten den Winter? Daran erinnert sich ein Zeitzeuge, der frühere Lehrer Hartwig Streit, der Jahrzehnte der Vorsitzende der örtlichen Wasserwacht war, und Tausenden Riedenburgern das Schwimmen beigebracht hat.

Gestrandet im Frühjahr 1946 in einem abgekoppelten Viehwaggon mit anderen Heimatvertriebenen am Bahnhof in Sandersdorf, ging es für die Menschen auf einem Leiterwagen zuerst nach Schamhaupten und zwei Jahre später nach Riedenburg. Unauslöschlich in sein Gedächtnis eingebrannt ist Streit der erste Auftritt des Nikolaus, gespielt vom Vater, in der neuen Heimat. Er hatte einen abgetragenen Wintermantel mit aufgeschlagenem Kragen an, trug Stiefel, eine dicke Brille auf der Nase sowie eine Pudelmütze und hatte als Geschenk einige Nüsse, Äpfel und Plätzchen dabei. Doch dann zauberte der heilige Mann noch etwas Tolles aus dem Ärmel: drei Eier für die restliche Familie. Die insgesamt vier Personen hausten damals in in einem Raum mit 35 Quadratmetern.

Trotzdem sollte der Weihnachtsbaum schön geschmückt sein. Tannenzapfen wurden gefärbt und vergoldet, Papiersterne als Ersatz für fehlenden Kugeln geschnitten. Streifen von Silberpapier dienten als Lametta. Das Weihnachtsgeschenk für den kleinen Hartwig Streit war ein Stoffball und eine "Holzstadt" - ein Brett, aus dem die Häuser entstanden.

Obwohl das deutsche Wirtschaftswunder anfangs noch in den Kinderschuhen steckte, ging es in den 1950er-Jahren doch rasant aufwärts. Die Riedenburger Schaufester zeigten ihre Waren. Die Kinder drückten sich die Nasen platt, wenn sie die Spielsachen bestaunten, und im Lebensmittelgeschäft Scheck nickte der Nikolaus. Zu dem Christbaum am Marktplatz gesellten sich weiterte am Rabenstein, beim früheren Landratsamt, vor dem damaligen Kreiskrankenhaus und am Dach der Pappfabrik.

Der Heilige Abend endete in der Kirche mit der mitternächtlichen Christmette. Wenn die Orgel am Ende jubilierte und der Organist voll in die Tasten griff, erloschen in der Altstadt häufig die Lichter. Denn das private Elektrizitätswerk war etwas überfordert.

Auch die Weihnachtsgeschenke änderten sich in den Folgejahren. Zu dem kleineren Zweisitzer gesellte sich sein größerer Bruder, der Hörnerschlitten. Ergänzt wurde dies später durch anschraubbare Schlittschuhe und handgefertigte Ski.

Und es herrschte damals wirklich Winter. Schnee und Minustemperaturen von bis zu 25 Grad waren keine Seltenheit. Die Altmühl war oft zugefroren. Der Hausmeister der Riedenburger Volksschule schürte schon um fünf Uhr morgens die Öfen an. Nach einem kilometerlangen Marsch stellten die Schüler ihre nassen Schuhe zum Trocknen vor die Brennstelle, deren gieriger Schlund jede Stunde einige Holzscheite verschlang. Während der Frost die schönsten Eisblumen an die Fensterscheiben malte, kapitulierte im Kelheimer Gymnasium im Herzogskasten, heute ist dort das Heimatmuseum untergebracht, die Zentralheizung - und es gab schulfrei.

Die Straßen waren damals noch nicht asphaltiert, Streusalz kannte man nicht. So entwickelte sich der Jachenhausener Weg zu einer klassischen Rodelstrecke. Die Länge der Abfahrt konnte jeder selber bestimmen. Start ab der heutigen Kreuzung Gartenstraße, beim Feldkreuz am oberen Straßenende oder gar bei der Schneider-Kapelle? Sitzt vorne ein Schlittschuhlenker oder wirft man sich nach einem kurzen Anlauf auf den Rodel und rast bäuchlings bergab? Hatten die rasanten Fahrer die etwas vorstehende Lagerhalle im Talgrund umschifft, ging es an der Firma Reisig vorbei in Richtung Altmühl. Einbiegende Autos musste man damals nicht befürchten.

Dafür gab es einen unerfreuten Nachbarn. Der streute ab und zu Asche quer über die Fahrbahn. Aber der Himmel hatte oft ein Einsehen und die Schneeflocken deckten den Hemmstreifen wieder zu. Die vom Nachbarn gerufene Polizei kassierte allerdings öfters die Schlitten ein. Die Fahrzeuge konnten dann am Folgetag wieder in der Dienststelle abgeholt werden.

Weitere klassische Schlitten- oder Skibereiche waren die Abhänge bei der heutigen Feuerwehr oder am Schwammerl bei Georgenbuch. Da gelangte man auf der einen Seite zum Abhang von Eggersberg ins Altmühltal, auf der anderen lag die "Kupfernasn". Letztere war stark frequentiert, denn sie bot drei Abfahrtsmöglichkeiten nebeneinander. Durch die leichte Erreichbarkeit gab es dann als Sportunterricht Skifahren und Rodeln. Nebenbei zauberte im Winter das Hochwasser eine geschlossene Eisdecke rund um Riedenburg, auf der die Schlittschuhläufer auf ihre Kosten kamen.

Alles hat seine Zeit. Vielleicht erwachsen aus dem derzeitigen Geschehen ein Nachdenken und eine Entschleunigung. In den 1950er-Jahren jedenfalls brachten kleine Gaben große Freuden.

DK

Hartwig Streit