stadtgeflüster
Marokko:Iran oder Nida-Rümelin?

15.06.2018 | Stand 02.12.2020, 16:14 Uhr

(peh) Es ist Freitagnachmittag, kurz nach halb sechs.

Ausnahmsweise läuft der Fernseher in der Redaktion. Marokko spielt gegen den Iran, die Begegnung ist kurz vor der Halbzeitpause noch torlos. Ist aber wurscht, weil eh keiner hinschaut. Die Alternative wäre der Futorologische Kongress an der THI, wo der Kollege sich beruflich rumtreibt. Da spricht zur selben Zeit in E003 Julian Nida-Rümelin über digitalen Humanismus, während in G203 eine Theatrale Intervention über Sex mit Robotern läuft - was immer das auch sein mag. Dann doch lieber ein gepflegtes Stadtgeflüster über das Leben in der Großstadt am Wochenende. Über eines dieser Wochenenden, wo man sich schier überschlagen könnte und doch nicht hinterherkommt: Weinfest, Markt der Handwerkskunst im Bauerngerätemuseum, Konzert der Georgier, Auftritt der Sing- und Musikschule sowie diverse Führungen und Vorträge. Nicht zu vergessen die Mucke zu Frankenstein im Stadtmuseum.

Manchmal wünscht man sich, man würde am Land wohnen. Da ist das Leben doch noch einfacher: Feuerwehrfest, Fronleichnamsprozession, Kriegerjahrtag mit Erbseneintopf, Adventskonzert und vielleicht noch eine Aufstiegsfeier im Verein. Langt doch. Aber in der Großstadt, da hat man doch dauernd Angst, dass man was versäumt. Und dann die anderen immer: "Warst Du da ned dabei? Da hast fei was versamt. " Natürlich hat man garantiert immer die andere Veranstaltung besucht. Was uns aber mittlerweile auch wurscht ist. Denn wir haben uns vor lauter Protest in Vronis Ratschhaus die "Dialektik der Aufklärung" von Horkheimer und Adorno gekauft. Und das wird gelesen, jawoll!

Ganz kann man sich freilich nicht entziehen. Dazu ist das ganze WM-Gedöns viel zu präsent, was in Sachen Freizeitgestaltung noch hinzukommt. Und wie soll das erst nächstes Wochenende werden, wenn die Gerolfinger Feuerwehr ihr 140-Bestehen feiert und der Bundesinnenminister kommt. Vorausgesetzt, es gibt in Berlin dann noch eine funktionierende Regierung. . .