Beschwerde eingereicht
Mangelnder Datenschutz bei Audi?

Fahrzeugidentifikationsnummer in der Frontscheibe könnte kritisch sein

10.02.2022 | Stand 22.09.2023, 23:42 Uhr
Audi und andere Hersteller zeigen die Fahrzeugidentifikationsnummer offen in der Frontscheibe. Das könnte ein Verstoß gegen europäische Datenschutzbestimmungen sein. −Foto: Stratenschulte, dpa-Archiv

Ingolstadt/Neckarsulm - Die Fahrzeugidentifikationsnummer findet sich bei einigen Herstellern für alle sichtbar in der Frontscheibe. Auch bei vielen Modellen des VW-Konzerns und damit der Audi AG sieht man sie offen. Andere Autobauer wiederum verzichten in der EU lieber darauf. Es gibt datenschutzrechtliche Bedenken. Gegen Audi läuft nach einer Beschwerde nun ein offizielles Prüfverfahren.

Datenschutz gewinnt seit Jahren an Bedeutung. Behörden reagieren auf das Thema zunehmend sensibel. Und der Audi AG könnte nun Ärger ins Haus stehen. Hintergrund ist die bei vielen Volkswagen-Marken in der Windschutzscheibe offen zu sehende Fahrzeugidentifikationsnummer (FIN). In einigen Märkten - etwa in den USA - ist die sichtbare Anbringung in der Scheibe eindeutig vorgeschrieben. In der EU hingegen scheint die Gesetzeslage nicht so eindeutig zu sein.

Wie unsere Zeitung erfahren hat, ist beim Baden-Württembergischen Landesbeauftragten für Datenschutz nun eine Beschwerde gegen den Ingolstädter Autobauer eingegangen. Das Stuttgarter Büro des Beauftragten Stefan Brink bestätigt das auf Anfrage unserer Redaktion: "Das Prüfverfahren wurde eingeleitet und wird in Zusammenarbeit mit unseren Kolleginnen und Kollegen von der Bayerischen Aufsichtsbehörde bearbeitet." Dem Vernehmen nach soll es auch eine Anzeige an einem Audi-Standort geben. Eine Bestätigung der Justiz gibt es nicht.

Was ist das Problem mitder offen sichtbaren FIN?
Wird ein Fahrzeug zugelassen, werden Daten erhoben - zum Halter, Auto und auch die FIN, die demnach mit einem Namen, einer Adresse und Ähnlichem verbunden werden kann. Ein Sprecher des Kraftfahrt-Bundesamts (KBA) erklärt, diese Daten werden im zentralen Fahrzeugregister gespeichert. Die Frage ist, ob die FIN damit ein personenbezogenes Datum darstellt. Ein Mitarbeiter des Beauftragten Brink erklärt, dass personenbezogene Daten alle Informationen sind, die sich auf eine identifizierte oder identifizierbare natürliche Person beziehen. Laut europäischer Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) sei die FIN ein solches personenbezogenes Datum. "Ist die FIN in der Frontscheibe sichtbar, so handelt es sich dabei um eine Offenlegung eines personenbezogenen Datums und damit um eine Verarbeitung personenbezogener Daten", so der Sprecher mit Verweis auf Artikel 4 Nummer 2 DSGVO.

Für eine Verarbeitung personenbezogener Daten verlangt die seit 2018 geltende DSGVO aber eine Rechtsgrundlage - also einen Vertrag oder die Einwilligung, so das Büro des Landesbeauftragten. Es könnte also sein, dass die sichtbare Anbringung der FIN in der EU zustimmungspflichtig ist.

Gibt es Verordnungen zur Identifikationsnummer?
Wie kompliziert die Gemengelage ist, zeigt ein Hinweis des KBA. Es habe keine Kenntnis über eine explizite Vorschrift mit Blick auf die Anbringung der FIN in der Frontscheibe, verweist aber auf die EU-Verordnung EG19/2011. Darin heißt es etwa, die FIN ist an "einer deutlich sichtbaren und zugänglichen Stelle anzubringen". Diese sei so zu wählen, dass die FIN nicht verwischt oder beschädigt werden kann. Dies könnte dann die Frontscheibe durchaus einschließen. Andererseits wird durch die Verordnung geregelt, dass die FIN "durch Einprägen oder maschinelles Einschlagen auf dem Fahrgestell, dem Rahmen oder einem gleichwertigen Fahrzeugteil anzubringen" ist. Es dürften allerdings auch andere Techniken verwendet werden, "die nachgewiesenermaßen dasselbe Maß an Resistenz gegenüber Manipulation oder Fälschung bieten wie das maschinelle Einschlagen". Ob die Anbringung in einem Sichtfenster in der Frontscheibe hier runter fällt, konnte im Rahmen der Recherchen nicht aufgeklärt werden.
Das KBA erklärt zudem, dass es weitere sichtbare personenbezogene Daten an einem Auto gebe - angefangen beim Kennzeichen. Zudem könne mit der FIN nur dann etwas in Erfahrung gebracht werden, wenn man Zugang zum dazugehörigen Register habe. Wer was abfragen darf, sei eindeutig geregelt, wie es heißt.

Was sagt die Audi AG zur rechtlichen Situation?
Audi teilt auf Anfrage mit: "Die aktuelle Gesetzeslage sieht vor, dass die FIN sichtbar und zugänglich am Fahrzeug angebracht werden muss. Das Anbringen der FIN in der Windschutzscheibe steht nach unserer Auffassung im Einklang mit europarechtlichen Vorgaben und der Datenschutzgrundverordnung." Unserer Redaktion liegen allerdings interne Informationen vor, denen zufolge die Verortung der FIN im Unternehmen durchaus diskutiert wird. So wird etwa erwähnt, dass die "Ablesbarkeit der Fahrgestellnummer hinter der Frontscheibe kritisch erachtet" werde und gegen die DSGVO verstoße. Künftig solle die Nummer in der Scheibe in der EU mit einem Aufkleber ersetzt werden. Ob rückwirkend gehandelt werde - es also zu Rückrufen kommen könnte - ließ Audi auf Nachfrage unbeantwortet. Wie aus Unternehmenskreise verlautet, sei das Problem seit 2020 bekannt.

Die vier Ringe betonen, der Schutz von Kundendaten habe höchste Priorität. Man prüfe fortwährend die Einhaltung gesetzlicher Vorschriften. "In diesem Zusammenhang überprüfen wir auch Themen wie die Positionierung der FIN. Dabei müssen auch die berechtigten Interessen wie etwa die der Polizei und anderer Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmer Berücksichtigung finden."

Wie gehen andere Hersteller damit um?
Auch Schwestermarken wie VW-Pkw oder Skoda sowie einige konkurrierende Hersteller zeigen die FIN in der Windschutzscheibe. Anders hat sich indes BMW entschieden: Der Münchner Premium-Kontrahent der Ingolstädter verzichtet auf die sichtbare Fahrzeugidentifikationsnummer in der Frontscheibe wo immer möglich. BMW teilt unserer Zeitung dazu schriftlich mit: Die FIN werde "bei BMW bisher nur in Ländern sichtbar in der Frontscheibe positioniert, in denen es länderspezifische, regulatorische oder auch versicherungsrechtliche Vorgaben erfordern."

DK

Christian Tamm