Dietfurt
Mangel an allen Ecken und Enden

Heimatpfleger Franz Kerschensteiner schildert die Lebensumstände der Menschen am Ende des Ersten Weltkriegs

23.04.2018 | Stand 02.12.2020, 16:31 Uhr

Dietfurt (grb) Einen viel beachteten Vortrag hat bei der weltlichen Feier der KAB Heimatpfleger Franz Kerschensteiner gehalten.

Eingangs betonte er, dass von den Anfängen der Arbeitnehmerbewegung selbst in Dietfurt nur wenig bekannt sei. So sei ihm die Idee gekommen, das Leben der Menschen vor 100 Jahren zu beleuchten und von den Schwierigkeiten der einfachen Bevölkerung, von Not und Elend der Dietfurter in der Zeit, in der der Verein gegründet wurde, zu berichten.
Gleichzeitig schilderte er packend und anschaulich die Lebensumstände am Anfang des vergangenen Jahrhunderts. Es war das letzte Jahr des Ersten Weltkrieges, mit dem die erste der fürchterlichen Katastrophen des 20. Jahrhunderts begann, berichtete Kerschensteiner. Da man in Dietfurt damals noch überwiegend von der Landwirtschaft lebte und es kaum Maschinen gab, fehlten die Männer, die im Feld waren, auf den heimischen Feldern als Arbeitskräfte. Eine Konsequenz war, dass der Schulbeginn an der Volksfortbildungsschule, der heutigen Berufsschule, bis auf Weiteres ausgesetzt wurde. Die jungen Leute wurden zur Feldarbeit gebraucht, so sehr, dass sogar die Kinder der fünften bis siebten Klassen - es gab damals nur sieben Klassen Volksschule - vom Unterricht befreit und als Arbeitskräfte eingesetzt wurden. Auch der Krankenhausbetrieb war während des Krieges in Dietfurt eingestellt, es gab keinen Arzt mehr. Dazu kam das Problem der Ernährung der Bevölkerung. Brot, Fleisch und Zucker gab es nur mit Marken.
Die Gründung der KAB erfolgte laut Kerschensteiner in der Zeit eines gewaltigen Umsturzes, auch in Bayern. Zu dieser Zeit waren die Kirchen voll und die Beichtstühle sehr gefragt. Schlangen standen davor. Jeden Sonntag fanden in voll besetzten Kirchen Kriegsandachten statt. Das Verkündbuch der Stadtpfarrei hat den Ablauf so einer Andacht überliefert.

Die Stühle der Männerseite waren damals - wie der Name schon sagt - ausschließlich den Männern vorbehalten, die Feiertagsschüler und die Jünglinge vom 16. bis 18. Lebensjahr mussten im rechten Seitengang stehen. Auf der Frauenseite gehörte die erste Stuhlreihe den Klosterfrauen, die übrigen den Jungfrauen vom 18. Lebensjahr an. Die Feiertagsschülerinnen und Jungfrauen von 16. bis 18. Lebensjahr blieben im linken Seitengang stehen. Dies, so Kerschensteiner, könne man sich heute bei den ziemlich leeren Kirchen kaum mehr vorstellen.

Nach dem Waffenstillstand kamen am 5. Januar 1919 die überlebenden Soldaten heim. In der Pfarrkirche wurde ein Dankgottesdienst für die Rückkehr der tapferen Krieger abgehalten und die Heimkehrer füllten die ganze Kirche. Dies zeige, wie viele Männer als Soldaten eingezogen waren.
Doch es herrschte Mangel an allen Ecken und Enden: Bäcker hatten Brennstoffmangel beim Brotbacken. Im Mai 1919 wurde der Zuzug von Fremden in Dietfurt verboten, die Vorräte reichten kaum mehr für die einheimische Bevölkerung. Kerschensteiner zeigte die beginnende Inflation auf, schilderte wie Stundenlöhne und die Preise stiegen bis schließlich ein Tageslohn 20 Millionen Mark betrug.
Auch nach der Inflation Ende 1923 herrschte große Not in Dietfurt. Die Männer mussten die Steine mit dem Hammer auseinanderklopfen und bekamen für einen Kubikmeter 1,60 Mark.
Auch die Bauern hatten es schwer, wegen des Mangels an Brennmaterial nahmen die Holzdiebstähle zu. Die Stadt erließ eine Verordnung, wonach nur an Dienstagen und Donnerstagen zu bestimmen Stunden der Wald betreten werden durfte zum Holzsammeln. Fazit seines Vortrages war: In diese schwere Zeit hinaus gründeten die Vorfahren die Gemeinschaft der KAB. Man solle dankbar sein, in diesem jetzt friedlichen Land in Wohlstand leben zu können.