Neuburg
"Manche wissen nicht mehr, wie es weitergeht"

04.01.2010 | Stand 03.12.2020, 4:22 Uhr

Bernd Dausend ist Vorsitzender des DGB-Ortskartells Neuburg.

Neuburg (lm) Über den Zustand der heimischen Wirtschaft gibt es keine verlässlichen Indikatoren. Der DGB-Ortskartellvorsitzende Bernhard Dausend geht durchaus mit Sorgen ins neue Jahr.

Das gilt weniger für den eigenen Betrieb, die Oberland-Glaswerke, wo Dausend Betriebsrat ist. Die Arbeitsplätze dort gelten als absehbar sicher. Und in der Glasindustrie dürfte selbst in der Krise der Schmelzofen nicht kalt werden. Denn dann wäre der sprichwörtliche Ofen aus. Die Beschäftigten-Situation und die Geschäftszahlen bei der französischen Mutter Saint Gobain stellen sich gut dar, der Betriebsrat findet ausgesprochen anerkennende Worte für seine Betriebsführung. Aber auch für Oberland-Glas in Neuburg gilt: Sinkende Nachfrage und Überkapazitäten wie in der Branche insgesamt.

Da mehren sich für den auch stark in der Kirche engagierten Gewerkschafter die Alarmzeichen. Zweifelsohne, Neuburg und die Region stehen relativ gut da, aber allenthalben wachsen Verunsicherung und oftmals Ängste. Das spürt der Betriebsrat, das spürt der Kirchenmann, der zwischenzeitlich zum Landesvorsitzenden der Aktionsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen in der Evangelisch-lutherischen Kirche in Bayern avancierte. Als solcher sitzt Dausend auch in der Arbeitskommission der Staatsregierung zur Auswertung des 2. Bayerischen Sozialberichtes – als einer der wenigen "Normalos" unter lauter Wissenschaftlern, Professoren und Experten.

Aber einer wie Bernd Dausend weiß aus unzähligen Gesprächen, wo der Schuh drückt. Auch die Arbeitswelt von zwei Seiten zu kennen, ist von Vorteil. Der couragierte Gewerkschafter weiß, dass das Vertrauen in die Gewerkschaften bei Teilen der Arbeitnehmerschaft in den letzten Jahren gesunken ist. Die Ursachen sind vielfältig, da gebe es durchaus auch vor der eigenen Haustüre zu kehren. Aber spätestens wenn die erste Kreditrate klemmt, rangieren Gewerkschaftsbeitrag wie Kirchensteuer mit an erster Stelle der einsparbaren disponiblen Größen; aus Kirche und Gewerkschaft kommt man allemal leichter raus als aus einem laufenden Ratenvertrag.

Immer mehr Löhne langen nicht mehr fürs Leben. Bernd Dausend verschließt nicht die Augen vor der gesellschaftlichen Realität: 400-Euro-Jobs sind wichtig, oftmals lebenswichtig. Aber Minijobs und das wahrscheinlich zwischenzeitlich größte Problem, die vielen befristeten Verträge schaffen einfach zu wenig Basis für ein tragfähiges gesamtwirtschaftliches Fundament. Dausend: "Ich spreche gar nicht von den Ein-Euro- und Minijobs. Es geht durchaus um gute Arbeitsplätze etwa in der Industrie. Wer will und wer kann bei Arbeitsverträgen von ein, zwei Jahren Laufzeit noch das Risiko eingehen, ein Haus zu bauen. Viele scheuen schon vor dem Schritt zurück, eine Familie zu gründen." Ständig die Frage, was danach ist. "Sie wissen nicht, wie es weiter geht."

Den Kirchenmann freut’s, auch wenn ihn die Zusammenhänge von Ursache und Wirkung wenig glücklich stimmen. Nicht nur zu Weihnachten: Es gehen wieder mehr Menschen in die Kirche; den Trend gibt es in vielen Großstädten, aber genauso vor Ort, im Ostend, Apostelkirche, wo Bernhard Dausend Kirchenvorstand ist. Die Gottesdienste sind wieder besser besucht, gerade auch viele junge Familien kommen. Bei anderen Hilfseinrichtungen sieht es ganz ähnlich aus. Auch für die Vertreter der Aktionsgemeinschaft gibt es deutlich mehr Arbeit. Es geht um konkrete Nöte, aber auch um ganz viel Ängste. Die starke Zunahme von Langzeiterkrankungen, gerade auch psychischer Natur, sei besorgniserregend. Für Bernd Dausend besteht da ein direkter Zusammenhang: Die Zahl der Krankmeldungen nimmt weiter ab. "Aus Angst um den Arbeitsplatz traut sich mancher bei Krankheit nicht mehr daheim zu bleiben." Was sich anstaut und dann entlädt, sei für den Betroffenen, aber auch für den Betrieb oft schlimmer und teurer.

Stärke der Region, aber auch gewisse Gefahr für die nahe Zukunft: Das Bewusstsein für die Krise ist bei vielen Arbeitnehmern noch gar nicht angekommen. Besonders die Kurzarbeit habe vieles abgefedert. Aber gelingt in diesem Jahr wieder die Rückkehr von Kurzarbeit in normale Arbeitsprozesse überall so reibungslos? Schlägt die Krise jetzt nicht verstärkt auf den Mittelstand durch? Haben staatliche Eingriffe wie die Abwrackprämie Probleme nicht bloß um ein Jahr verlagert? Der Ortskartellvorsitzende weiß, dass die Gewerkschaften da nicht automatisch außen vor sind: Das Vertrauen in die Großen schwindet. Besonders, aber nicht allein für die Parteien gilt: Viel Basisarbeit ist vonnöten.