Beilngries
"Man ist nicht behindert, sondern wird behindert"

11.12.2009 | Stand 03.12.2020, 4:25 Uhr

Bitte Abstand halten: Das Einsteigen ins Auto ist für Sonja Stephan kein Problem, wenn sie denn genügend Platz hat. - Fotos: Adam

Beilngries (HK) Der Weg durch Beilngries kostet viel Kraft. Besonders durch die kleinen Gassen der Altstadt oder über den Schrannenplatz. Mehr Kraft, als beispielsweise stundenlanges Handball- oder Schwimmtraining. Das weiß die 16-jährige Sonja Stephan aus Beilngries. Sie wurde mit einer Spina bifida, einem offenen Rücken, geboren, und der Rollstuhl gehört zu ihrem Alltag.

Sicher und wendig rollt sie mit ihrem farbenfrohen Rollstuhl über die asphaltierten Flächen an der Hauptstraße – und steckt dagegen schon nach wenigen Metern am Schrannenplatz fest. Es geht nicht mehr vorwärts, nicht mehr rückwärts. Kopfsteinpflaster – ihr erklärter Feind. "Die kleinen Vorderräder bleiben in den Zwischenräumen der Steine stecken. Ich muss mich nicht nur plagen, um weiter zu kommen, ich habe auch Angst, dass ich umkippe, wenn ich es zu heftig versuche", erklärt sie.

Dabei ist Angst eigentlich ein Fremdwort für Sonja Stephan, denn es gibt fast nichts, was die kontaktfreudige Jugendliche mit dem herzlichen Lachen nicht ausprobieren oder mitmachen möchte. Beim Weg über den Schrannenplatz am Haus des Gastes hilft schließlich – wie so oft – Mama Silvia Stephan weiter.

"Sonja ist sehr selbstständig. Aber es sind eben oft Gedankenlosigkeiten, die sie an ihre Grenzen bringen. Nicht umsonst gibt es den Spruch: Man ist nicht behindert, sondern wird behindert", sagt Silvia Stephan. Ärgerlich findet die resolute Mutter beispielsweise, wenn Mitbürger ohne Handicap am einzigen Behindertenparkplatz in der Innenstadt, direkt vor dem Rathaus, parken. "Nur schnell mal kurz, weil halt frei war", hat sie schon öfter von gesunden Autofahrern gehört, die den Behindertenparkplatz blockieren. Andere stellen ihren Pkw zwar neben den Behindertenparkplatz, aber so knapp, dass ein Aus- oder Einsteigen vom Rollstuhl unmöglich ist.

Arztpraxen unerreichbar

Dieses Mal kann Sonja gut demonstrieren, wie viel Platz sie zum Einsteigen ins Auto braucht – der Wagen daneben hält korrekt Abstand. Mit wenigen Griffen hat sie ihren Rollstuhl bei der Autotür in Position gestellt, sich allein ins Auto gezogen. "Sonja treibt viel Sport, das hilft ihr natürlich, die Kraft und Geschicklichkeit aufzubauen, die sie im Alltag braucht", sagt Silvia Stephan. Ski fahren mit Monoski, Handball, Schwimmen, Reiten, Selbstverteidigung und Handbike fahren – Sonja ist dabei. "Dazu müssen wir immer nach Ingolstadt oder Regensburg. Aber das sind wir gewöhnt, denn auch zu Ärzten können wir hier in Beilngries kaum gehen", bedauert Silvia Stephan. Frauenarzt, Orthopäde, Haut- oder Augenarzt, nahezu alle haben ihren Praxen in Beilngries in Obergeschossen – ohne Aufzug. "Und wenn dann schon mal eine Rampe da ist, wie beispielsweise bei unserem Freibad, dann ist sie so steil, dass kein Rollstuhlfahrer da allein hinaufkommt", ärgert sich Silvia Stephan.

Ausbildungsplatz gesucht

Die leidige Frage: Wie komme ich nach oben? muss sich Sonja Stephan bald auch im neu gebauten Rot-Kreuz-Haus stellen. Der Raum, in dem die Gruppenstunden für die Rot-Kreuz-Jugend, der sie angehört, abgehalten werden, ist im zweiten Stock. Ein Aufzug ist in dem in wenigen Wochen fertigen Neubau nicht vorgesehen.

"Natürlich haben wir im Laufe der Jahre unsere Technik entwickelt, Treppen zu überwinden. Aber hier sind es gleich zwei Stockwerke, jeweils mit Wendelplattformen. Das ist extrem schwierig", ärgert sich Sonjas Mutter. Dass im ersten Stock eine behindertenfreundliche Toilette eingebaut wird, versöhnt sie nicht. "Wie soll Sonja hinauf oder vom zweiten Stock hinunter kommen"

Der Gang zur Toilette ist ohnehin immer wieder ein Problem. "Allein ist das schwer, auch in Gaststätten. Ganz oft sind die im Keller", weiß Sonja. Erfreulich, dass bei den neuen öffentlichen Toiletten im alten Feuerwehrhaus auch eine Behindertentoilette eingebaut wird. Eine weitere rühmliche Ausnahme: die Schule. In der Realschule, wohin die Hauptschülerin mit ihrer Klasse ausgelagert ist, gibt es eine behindertengerechte Toilette, ebenso in der Hauptschule.

In der Schule fühlt sich Sonja sehr gut aufgehoben: "Mein Klassenlehrer kümmert sich sehr, dass ich überall mit kann." Einzig der Weg in den Computerraum im Keller sei nicht allein zu bewältigen. "Aber unser EDV-Lehrer hat das gut raus, mich über die Treppe zu bringen."

Sonjas größte Sorge ist momentan die Suche nach einem Arbeitsplatz. Im Büro möchte sie gern arbeiten. "Ich hoffe sehr, dass ich einen Ausbildungsplatz finde, zumal mein künftiger Arbeitgeber ja auch Unterstützung vom Arbeitsamt erhalten würde", sagt sie.