Kipfenberg
Malen als Weg zurück ins Leben

Günter Lorenz präsentiert seine Werke in der Klinik Kipfenberg

03.05.2013 | Stand 03.12.2020, 0:11 Uhr

Kipfenberg (EK) Über 100 Besucher sind zur Vernissage in die Klinik Kipfenberg gekommen, gehen von Bild zu Bild: verwundert, verwirrt, erfreut, dann wieder belustigt. „Das ist meine Ausstellung, die zweite“, sagt Günter Lorenz. Ein Aufbruch zu etwas Neuem, hofft er.

Stellvertretende Landrätin Rita Böhm bewundert seinen Mut, seine Werke zu präsentieren – in diesem Rahmen und nach dem Schlaganfall. Bürgermeister Rainer Richter weist auf die Kraft hin, die die Kunst geben kann. Er hoffe, dass die Ausstellung Mut mache.

Günter Lorenz malt fast unentwegt – nicht erst seit seiner Erkrankung. Seit 39 Jahren ist er der Kunst regelrecht verfallen. Weit über 1000 Bilder hat er geschaffen und ist dabei durch die verschiedenen Stilrichtungen gewandelt. Seine Werke leben von der Vielfalt: Barocke stehen neben expressionistischen und impressionistischen Elementen und seine Ausdruckssprache gipfelt in surrealistischen Welten.

Die Kunst von Günter Lorenz ist romantisch verklärt, manchmal naiv oder schonungslos politisch. Franziska Hummel, Psychologin der Klinik Kipfenberg, vergleicht sein Werk in ihrer Laudatio mit Babel. „Also stellen wir uns einen Menschen vor, inmitten dessen so viele verschiedene Sprachen herrschen. Ein inneres Babel. Ein zu durchquerender Urwald.“ Das Verbindende ist der Mensch. Günter Lorenz ist fasziniert von dessen Facetten und Schwächen, will sie sichtbar machen.

Kunst soll Gefühle wecken, zum Denken anregen, soll wach rütteln, darf politisch sein und provozieren. Die Ideen kämen ihm oft im Schlaf. „Die Themen sind unendlich, ich stehe vor einem riesigen Regal mit unzähligen Schubladen“, sagt Lorenz: „Und jede, die ich herausziehe, enthält ein neues Thema.“

Günter Lorenz, Ingenieur und Projektleiter (im Bild), erlitt 2012 einen Schlaganfall. Für einige Wochen steht das Leben still: halbseitige Lähmung, Rollstuhl, Reha, Training und Malen. Neben den Hilfsmitteln, die er in der Klinik zu benutzen lernte, halfen ihm die Buntstifte – zu verarbeiten, zu verstehen, sich auszudrücken. Therapie neben der Therapie. Er malt sich in einer Zwangsjacke, gefangen im eigenen Körper. Der Schlaganfall hat etwas in seinem Kopf verändert. Seine Aufmerksamkeit hat sich nach rechts verschoben, die Welt auf der linken Seite nimmt er weniger wahr. Mediziner nennen es Neglect. Auf seinen neuen Bildern ist es deutlich zu sehen: Er malt nur auf der rechten Seite des Blattes. Er malt 100 Kreuzigungen – das hat er der Heiligen Walburga versprochen. Zuerst reduziert, fast zaghaft, dann expressiver bis schreiend bunt. Lorenz malt sich zurück, erobert schließlich das gesamte Blatt. Zwei Kreuzigungen sind es noch.