Ingolstadt
Magische Klänge, irres Licht

28.07.2019 | Stand 23.09.2023, 7:58 Uhr
Von oben kam es nass: Stelzenläufer lieferten sich vor der Taktraum Stage eine akrobatische Wasserschlacht. Man beachte die trickreiche Schlauch- und Düsen-Konstruktion. Sitzmöbel aus Holz und spießige alte Sofas gehören auf diesem Festival immer dazu. Links Ingo Geppert, Sonja Geppert und Jörg Drexler (v.l.). Rechts Sabine, Laura und Madlen in bester Partylaune. −Foto: Hammer, Cornelia, Ingolstadt

Das Taktraum-Festival begeisterte wieder die Besucher. Einen Satz hörte man oft: "Ingolstadt kann stolz sein auf dieses Ereignis!"

Fehlt eigentlich nur noch eine Schrankwand - so eine richtig schreckliche: Eiche rustikal. Die würde bestens hierher passen, zu all den anderen hässlichen Plüschsofas, kitschigen Stehlampen und weiterem gutbürgerlichen Prunkmobiliar aus dem Arsenal von Oma und Opa. Wo die Taktraum-Leute diesen spießigen Deko-Trödel nur immer her haben? Die Sitzgarnituren kommen hervorragend an, laden die Besucher zum Herumhängen ein, schmücken ein Festival, das vieles ist, nur eines gewiss nicht: spießig.

Nahe der Metronom Stage sitzen Sonja Geppert, Ingo Geppert (sie haben ihre Söhne dabei) und Jörg Drexler auf einem Ledersofa in ganz scheußlichem Braun. Sie genießen den Trubel ringsum. Die Klänge von drei Bühnen, die Lichter, all die entspannten Leute. "Das Schönste am Taktraum-Festival sind die friedliche Atmosphäre und die kreative Dekoration", sagt Ingo. Er und seine Familie sind treue Fans des Festivals im Reduit Tilly. So wie einige Tausend weitere, die immer gerne wieder kommen, wenn die einstige Festung von einer Truppe leidenschaftlicher, kreativer junger Ingolstädter in eine Hochburg des Friedens und des Feierns verwandelt wird.

Es war eine gute Idee des Taktraum-Teams, mit dem Umzug ins Reduit Tilly vor vier Jahren auch dessen Vorfeld einzubeziehen, denn so entstehen reizvolle Gegensätze: Vor dem Tor die lauschigen Partyzonen auf Gras, von Bäumen gesäumt (Metronom Stage, Tilly-Floor), im Inneren staubig-steiniger Boden, von mächtigem Mauerwerk umgeben. Eine Festung wie gebaut für ein Festival, auf dem die meiste Zeit hämmernde Schläge den Ton angeben. Generalfeldmarschall Graf Johann von Tilly, der Schlächter von Magdeburg, hätte auch nie gedacht, dass in Ingolstadt, jener Stadt, in der er 1632 gestorben ist, mal ein Tanzboden nach ihm benannt wird.

Hier schwingen die Feiernden schon dicht gedrängt über das Gras, als es noch hell ist. Die DJs auf der Bühne bestücken die Boxen mit ansteckenden Beats, das Selbe vor der Metronom Stage. Sie ist wieder mit einer spektakulären, aufwendig gezimmerten Holzkonstruktion dekoriert. Mitsamt mittelgemütlichen, jedoch ziemlich coolen Brettersitzen - von palettenartig bis rampenförmig. Die Miniramp für Skateboarder gehört seit dem ersten Taktraum 2012 zum Markenkern des Festivals; sie zieht sich leitmotivisch über das Gelände. Ebenso die voluminösen, von innen illuminierten, abends betörend schimmernden Wassertanks überall. So ist das bei einer Kult-Veranstaltung: Sie erschafft sich eigene Symbole.

Auch die Händler hier sind irgendwie anders. Ethno-Ramsch und ähnlichen Kommerz-Kram sieht man nicht. Die vier jungen Leute, die an ihrem Stand selbst gefertigten Schmuck und Filzgebilde verkaufen, studieren Produktdesign an der Bauhaus-Universität in Weimar. Elias Fahle, ein Ingolstädter, erklärt, was es mit den filigranen Kreationen auf sich hat: "Das sind knetbare Strukturen aus Perlen zur Entspannung oder für Konzentrationsübungen. Man kann sie auch als Schlüsselanhänger verwenden." Auf Wunsch wird die Ware individuell vollendet. "Die Kunden können die Farben aussuchen und kombinieren." Die Studenten freuen sich über das Interesse an ihrem Sortiment. "Es wird so aufgenommen, dass es mal was anderes ist", sagt Elias. So wie das gesamte Festival: "Es ist ein Mal im Jahr etwas Besonderes - und die ganze Region wird miteinbezogen."


Ingolstadt kann stolz sein auf dieses Festivalereignis - das hört man immer wieder. Hier treffen sich ununterbrochen Freunde, Bekannte, Kollegen, Kommilitonen, Klassenkameraden, mal verabredet, mal einem netten Zufall zu verdanken. "An jeder Ecke findet man jemanden zum Unterhalten", erzählt Benni (33). Er entspannt mit drei Freundinnen und zwei Freunden - alle aus Ingolstadt - auf einer ebenfalls recht scheußlichen, abgewetzten Kunstledercouch. Begeisterung quer über die Sitzgruppe: "Das Taktraum ist einfach super! Es ist aus unserer Stadt und es ist mitten in Ingolstadt, man kann zu Fuß hingehen oder mit dem Bus fahren." Kein unbequemes Campen. "Am nächsten Tag kommen wir frisch geduscht von daheim und verbringen eine wunderschöne Zeit." Lisa (31) ist jedes Mal aufs Neue von der fantasievollen Dekoration und den Kunstinstallationen begeistert. "Die ganze Aufmachung - großartig! So was gibt es sonst nicht." "Die Holzaufbauten schauen super aus", ergänzt Jürgen (35). "Die Musik und die Akustik sind auch toll." "Es ist für jeden was dabei", ergänzt Julia (30). "Mal weicher, mal ein bisschen härter. Es ist auch super an dem Festival, dass viele Familien da sind, alle Altersgruppen von jung bis älter." Und sogar "richtig alt". Damit meinen diese Taktraum-Fans eher Besucher der Generation Ü50. Man sieht sie vereinzelt - und sie scheinen ebenfalls richtig Spaß zu haben.

"Nachmittags, wenn noch wenig los ist, kann man gemütlich draußen sitzen, und abends ist es immer brechend voll", sagt Florian (36). "Wir sind gestern bis zum Ende geblieben", berichtet Julia. Also 1 Uhr. Die Stadtverwaltung hat zum ersten Mal eine Ausweitung der Feierzeit um eine Stunde genehmigt. "Von mir aus darf es ruhig bis 4 Uhr nachts gehen", findet Florian; da tanzt das Ordnungsamt aber eher nicht mehr mit.

Dieses Festival erlebt keinen Temperatursturz. Am Samstagnachmittag, als der wundervoll wogende Party-Kosmos wieder langsam zum Leben erwacht, ist es in etwa genauso warm wie am fortgeschrittenen Freitagabend: um die 26 Grad. Am frühen Samstagabend geht ein kurzer Schauer nieder; so viel zum Wetter. Am Infostand der AOK gibt es gratis Regenschutz, Sonnencreme und Ohrenstöpsel - was auf einem Festival eben der Gesundheit dient. Hier jobben Tina Hörholdt (20) und Tim Klimnek (22). "Wir möchten mit den Besuchern locker ins Gespräch kommen." Das mit der Lockerheit ist schon mal kein Problem: "Hier ist nichts gezwungen oder kommerziell", sagt Tina, "auch die Preise für Essen und Getränke sind nicht zu hoch."

Die Organisation ist wie in jedem Jahr exzellent. Ausreichend Personal am Ausschank, immer lächelnd auch im Stress, eine zurückhaltend-freundliche Security (es passiert ebenfalls traditionell: nichts), außer den üblichen Kippen liegt fast kein Müll herum. Das Team um die Taktraum-Veranstalter Phil Schmid, Diego Richter, Chris Britt und Eugen Hoffart hinterlässt das Gelände stets besen- und rasenmäherrein.

Vor dem Aufräumen wird es ordentlich behüpft und aufgewirbelt: Viele fangen früh mit dem Tanzen an. Als am Samstag kurz nach 18 Uhr Nico Stojan auf der Taktraum Stage an die Regler geht, schwingen schon Dutzende mit. Bald sind es Hunderte.

Die Sonne zieht sich hinter der Festungsmauer zurück. Nun bricht sie an, die grellbunte bis düster-sphärische blaue Stunde des Festivals. Durchkomponierte Illuminationskunst taucht alles in irres Licht. Hohe Schlagzahl im Taktraum. Projektionen pulsieren, Farben explodieren, Beats beginnen zu leuchten. Und mittendrin strahlen die Feiernden. Es ist ihre Nacht.
 

Christian Silvester