Pfaffenhofen
Männer im Krieg

Steffen Kopetzky liest im Pfaffenhofener Rathaussaal aus seinem aktuellen Roman "Propaganda"

27.10.2019 | Stand 23.09.2023, 9:10 Uhr
Im Rahmen der Reihe "Pfaffenhofener Lesebühne" stellte Steffen Kopetzky seinen aktuellen Roman "Propaganda" am Samstagabend im Rathaussaal vor. −Foto: Agnieszka Scheerer-Palak

Pfaffenhofen (PK) Ein Autor braucht auch eine Benutzeroberfläche: Mit dem grotesk gemusterten Handtuch um die Schultern wirkt Steffen Kopetzky aus der Entfernung, als wäre er als afghanischer Warlord seinem eigenen Roman "Risiko" entsprungen. Die unmoderierte Lesung im Rathaussaal seiner Heimatstadt Pfaffenhofen ist Samstagabend ausverkauft; der neue Roman "Propaganda" (Rowohlt Berlin) hat schon viel mediale Aufmerksamkeit bekommen.

Nach Michael Hansen (Uwe Timm, "Ikarien", 2017) steht mit Kopetzkys John Glueck abermals ein intellektueller deutschstämmiger US-Offizier im Mittelpunkt eines deutschsprachigen Weltkriegsromans. Es geht um die Schlussphase des Krieges, um pennsylvaniendeutsche Familien- und Alltagsgeschichte, vor allem aber um die hochaktuelle Frage, an welchem Punkt - Vietnam! - Amerika eigentlich aufgehört hat, das Gute zu verkörpern. Es geht - der Titel sagt es - um die Mechanismen von Kriegspropaganda, der Mutter heutiger fake news. Auf anderer Ebene ist das Buch eine Verbeugung vor den darin auftretenden ganz Großen der amerikanischen Literatur, vor Hemingway, Salinger und Bukowski. Sorgen, ob das alles nicht ein bisschen zu gewollt ist, erweisen sich als unbegründet; Kopetzky komponiert ein schlüssiges, hochaktuelles Ganzes. Das darf man schon einen großen Wurf nennen. Am Anfang des Romans wird in einer beklemmenden Szene das Auffinden und Ausplündern eines getöteten Feindes geschildert: "Er schluchzte mehr, als er murmelte: eine mitfühlende Obszönität. Dann wanderte der enge Lichtkreis der Taschenlampe über den Mantelkragen, aufgequollen und schwarz vor Nässe." Nicht nur hier zeigt sich die Präzision in Kopetzkys Sprache; er erlaubt sich nicht die kleinste Schludrigkeit. "Propaganda" ist voll von literaturgeschichtlichen Verweisen, es ist aber zugleich ein unterhaltsamer Abenteuerroman: "Ein gottverfluchter Spion ist das [?]. Kurzen Prozess werd ich mit dem machen." Und das Buch ist das Produkt erstaunlicher Recherchen. Kopetzkys bemerkenswerte Faktenkenntnis spielt sich aber nie in den Vordergrund - anders als beim Vorgänger "Risiko", wo die Handlung bisweilen Vorwand war, um den Leser über weltgeschichtliche Kuriositäten in Kenntnis zu setzen, und man sich eine lektoral verordnete Schlankheitskur gewünscht hätte.

"Männer im Krieg" ist der Titel einer dereinst von Hemingway herausgegebenen Anthologie, die Kopetzky zitiert. Und so könnte auch sein Roman selbst heißen, in dem richtige Männer noch mal nach Herzenslust Whiskey saufen, fluchen, huren, sich prügeln und beim Kartenspiel dem Schicksal in die Augen sehen, kurz, sich noch mal so richtig als echte Kerle austoben dürfen, als wäre nichts: "Der Korrespondent wurde bleich, ließ die Luft ab, klappte ein, und da verpasste Hemingway ihm mit anatomischer Präzision einen Leberschwinger, der ihm den Rest gab." Das hat gesessen, die Schlägerei wird lustvoll und sinnlich ausgebreitet. Frauen sind optionale Zubehörteile dieser Helden. Man wundert sich, dass das Publikum dies so selbstverständlich hinnimmt: dass Krieg hauptsächlich als ein Männer-Abenteuerspielplatz in Erscheinung tritt, nur weil Männer vordergründig seine Protagonisten sind. Das war schon bei "Risiko" so. Hemingway hat in "A Farewell to Arms" (1929) der Geliebten Catherine dieselbe Tiefe wie seinem Ich-Erzähler gegeben.

Dessen ungeachtet ist es Kopetzky gelungen, auf dem abgegrast geglaubten Schlachtfeld des Zweiten Weltkriegs brisante Sprengkörper zu bergen und dabei ein wirklich aktuelles, breit gefächertes Buch zu schreiben. Auf der Bühne liest er lebhaft, mit gekonnt modulierter Stimme. Es macht ihm Freude, Dialoge hollywoodesk vorzutragen, und er kennt sich nebenbei mit deutschen Dialekten aus. Am Ende bildet das Pfaffenhofener Publikum eine lange Schlange vor dem Signiertisch.

Roland Scheerer