Le
Macron gegen Marine

23.04.2017 | Stand 02.12.2020, 18:15 Uhr

Paris (dpa) Le Pen schafft es in die entscheidende zweite Wahlrunde in Frankreich - einem Land in Terror- und Sinnkrise. Doch vor der Rechtspopulistin liegt der unabhängige Newcomer Macron. Ein Hoffnungsschimmer für Europa.

Was für ein Duell: Mann gegen Frau. Linksliberal gegen rechtsextrem. Öffnung gegen Abschottung. Mehr Europa gegen möglichst wenig. Deutschland-Freund gegen Deutschland-Feindin. Brückenbauer gegen Demagogin. Beide Kandidaten können Frankreichs neuer Präsident werden. Sie sind: Emmanuel Macron (39), smarter Liebling und Hoffnungsträger aller Pro-Europäer. Und Marine Le Pen (48) von der rechten Front National, das Schreckgespenst für Brüssel und Berlin.

Die erste Runde geht wohl an Macron, den früheren Top-Banker und Ex-Wirtschaftsminister unter dem scheidenden und gescheiterten Präsidenten François Hollande, der überhaupt zum ersten Mal bei einer Wahl angetreten ist. Und: Traut man den Umfragen, ist Macron in Durchgang zwei der klare Favorit.

Doch Angela Merkel und die EU-Granden sollten sich nicht zu früh freuen. Das Brexit-Votum und die US-Wahl haben gezeigt: Alles ist möglich. Der erste Wahlgang in Frankreich macht auch deutlich: Das Land driftet ab in die Extreme. Über 40 Prozent holen die extreme Rechte und die extreme Linke zusammen. Das etablierte Parteiensystem mit Sozialisten auf der linken Seite und Republikanern auf der rechten ist zusammengebrochen. Erstmals seit Jahrzehnten schaffen es deren Kandidaten nicht ins Finale. Le Pen kann ihr Ergebnis von 2012 von 17,9 Prozent auf über 20 Prozent deutlich verbessern, Linksaußen Jean-Luc Mélenchon erreicht um die 19 Prozent. Und das bei einer hohen Wahlbeteiligung.

Schafft Le Pen es im zweiten Wahlgang nicht, könnte das den moderaten Kräften nur eine Atempause verschaffen. Denn Macron hat zwar mit "En Marche!" (Auf dem Weg) eine hochmotivierte Bewegung geschaffen, aber keinen gut geölten Parteiapparat im Rücken. Um regieren zu können, braucht er jedoch Parlamentssitze.

Damit steht bei den Parlamentswahlen im Juni das Rückspiel an. Die Front National, bisher nur zwei Sitze stark, könnte 40 Mandate holen, heißt es. Zudem ist sie im Gegensatz zu "En Marche!" inzwischen in vielen Regionen bestens verankert, zum Teil auch mit eigenen Bürgermeistern.

Aber wieso sind die Radikalen in Frankreich so stark? Das Land ist in einer tiefen Terror- und Sinnkrise, das hat der turbulente Wahlkampf überdeutlich gezeigt. Le Pen profitierte ohne Zweifel von der Angst vor dem islamistischen Terrorismus. Frankreich, Mitglied im UN-Sicherheitsrat und Atommacht, ist verwundbar geworden: Seit 2015 ist es wie kein anderes westliches Land von islamistischen Terroristen heimgesucht worden. Das Morden hat tiefe Spuren hinterlassen und den Aufstieg des rechtsextremen Front National beschleunigt. Noch drei Tage vor der Wahl erschüttert eine tödliche Attacke auf Polizisten auf den Champs-Élysée das Land.

Aber da ist noch mehr: Le Pen und Mélenchon wurden auch getragen von einer Welle des Frusts und der Enttäuschung über die da in Paris, über korrupte Politiker, über das System, über den wirtschaftlichen Stillstand. Über ein als unsozial empfundenes Europa, in dem der Musterschüler Deutschland so oft den Ton angibt. Und dann das FN-Thema Nummer eins: Die Einwanderung und Le Pens Gleichung: Mehr Flüchtlinge gleich mehr Terroristen. Sie will ihr Land abschotten und Ausländer beim kleinsten Vergehen ausweisen.

Da gibt es Parallelen zu Österreich und den Niederlanden, den jüngsten Stimmungstests über Europa. Überall streben die Rechtspopulisten an die Macht. Wie Norbert Hofer in Österreich und Geert Wilders in den Niederlanden könnte Le Pen jetzt in letzter Minute abgefangen werden. Doch der Zulauf der Rechten in Europa ist enorm. Und die EU muss nach Flüchtlingskrise und Brexit-Votum um ihre Zukunft kämpfen.

Ob Macron oder Le Pen. Sie übernehmen ein schwer strapaziertes Land. Die immer noch zweitgrößte Volkswirtschaft in Europa gilt seit Längerem als Problemfall mit Reformstau. Die Arbeitslosenquote liegt bei zehn Prozent - zweieinhalb Mal so hoch wie in Deutschland. Und was noch schwerer wiegt: Von den jungen Leuten hat nur jeder vierte einen Job. Die massiven sozialen Probleme in den Vorstädten haben vor allem mit fehlender Integration und Zukunftsperspektiven zu tun. Dem Staat fehlen Geld und Ideen. Und ein zupackender, handlungsfähiger Präsident.