Évian-les-Bains
Löws Liebling

Toni Kroos spielt eine überragende EM und ist auch gegen Italien zentrale Figur des Bundestrainers

30.06.2016 | Stand 02.12.2020, 19:36 Uhr

Évian-les-Bains (DK) Die Spannung steigt. Weltmeister Deutschland fiebert dem EM-Viertelfinale gegen Italien entgegen und will endlich diesen Niederlagenfluch beenden. Die Hoffnungen ruhen dabei vor allem auf Toni Kroos, der eine überragende EM spielt.

Als er frisch geduscht und mit dem Champions-League-Titel gekrönt an diesem Mai-Abend in den Katakomben des Mailänder San Siro-Stadions stand, richtete er schon einmal per SMS einen Gruß an die Spielkameraden: "Ich bin in einer sehr guten Verfassung." Das konnte schon damals als Drohung für die Italiener verstanden werden, denn Toni Kroos ist der Takt- und Impulsgeber im deutschen Team - in einer faszinierenden Form und mit keinem Italien-Trauma belastet.

Die Geschichte liegt natürlich in der Geschichte: Noch nie hat Deutschland gegen Italien in einem Turnier gewonnen, damals 2006 bei der WM im eigenen Land waren die Deutschen im Halbfinale an Italien gescheitert, zuvor wurden sie mit 4:1 in Florenz deklassiert. "Und", fragt Toni Kroos. "Es wird Zeit, dass wir die Geschichte neu schreiben", sagt der Real-Spieler mit Blick auf das jüngste 4:1 im Freundschaftsspiel am 29. März in München. Das Programm steht jedenfalls. Heute um 11 Uhr letztes Training in Évian-les-Bains, 15.45 Uhr Abfahrt vom Hotel, 17.30 Uhr Start der zwei DFB-Flieger von Annecy Richtung Bordeaux, 19.45 Uhr Abschlusspressekonferenz mit Bundestrainer Joachim Löw. Das Vorspiel für das Viertelfinale gegen Italien am Samstag (21 Uhr/ARD) ist Routine. Vom Hype, den der Klassiker in Deutschland zur besten Sendezeit auslösen dürfte, sind die Spieler weit entfernt.

Jerome Boateng, Innenverteidiger und prägende Figur im deutschen Spiel bisher, bleibt - wie Kroos - ebenfalls ganz cool. "Die Vorbereitungen sind immer genau gleich. Die Italiener sind dafür bekannt, dass sie taktisch sehr gut geschult sind und mannschaftlich geschlossen spielen. Dafür müssen wir Lösungen finden." Die lange Pause seit dem Achtelfinal-Sieg am Sonntag gegen die Slowakei nimmt er ebenfalls eher geschäftsmäßig zur Kenntnis. "Wir müssen den Spielplan so nehmen, wie es kommt. Wir hatten jetzt etwas länger Pause, das hat uns nicht geschadet." Besonders seinem zur "Wade der Nation" hochgejazzten rechten Unterschenkel. Keinerlei Einschränkungen mehr meldet die medizinische Abteilung, Boateng ist bereit: "Bis Samstag passt das."

Das wird aller Voraussicht nach auch so sein müssen, denn die Partie gegen die Italiener ist die eindeutig schwerste des Turniers. Immerhin so viel räumen die Deutschen ein. "Es wird der größte Prüfstein im Laufe des Turniers", sagt Kroos. Die Vergangenheit, die brutale Serie von acht bei großen Turnieren nicht gewonnenen Spielen scheren ihn und seine Kollegen herzlich wenig. "Ich glaube nicht, dass ich mir Tag und Nacht Gedanken mache über die italienische Mannschaft. Da gibt es, glaube ich, schlimmere Sachen", sagt beispielsweise Boateng. Kroos fragt ganz provokant, aber selbstbewusst: "Welches Trauma"

Das sieht auch Sami Khedira so. Kroos' Partner im zentralen Mittelfeld spielt schließlich bei Juventus Turin, der Heimat des italienischen Defensiv-Bollwerks aus Torwart-Legende Gianluigi Buffon, Giorgio Chiellini, Andrea Barzagli und Leonardo Bonucci. Alle vier seien als eingespieltes Quartett zwar "weltklasse", aber "auch sie haben ihre Schwächen", sagte Khedira. Er ist für Löw eine willkommene Informationsquelle, weiß, "wie sie sich in Stress-Situationen verhalten", so der Bundestrainer.

Stressig soll es jedenfalls werden für den Gegner. Höchstwahrscheinlich mit der Aufstellung, die zuletzt die Slowakei "zerstückelte", wie es die italienische "Gazzetta dello Sport" respektvoll umschrieb.

Kroos hat jedenfalls Höheres im Sinn, nach sechs Tagen Pause: "Samstag wird es definitiv intensiv. Aber ich denke, dass wir in einer guten Verfassung sind, um auch Spiele zu machen mit kürzeren Abständen dazwischen. Was ja dann auch so kommen wird." Dabei kann er auf seine sensationelle Statistik verweisen: vier EM-Spiele über die gesamte Distanz und dabei 92 Prozent angekommene Pässe - diese Bilanz kann derzeit kein anderer Akteur bei dieser EM vorweisen. Der Ballbesitz-Fußball der Deutschen ist das Produkt der wichtigen deutschen Achse mit Neuer, Boateng, Hummels, Khedira und eben Toni Kroos. "Die Macht der Kontrolle", nennt das die "Süddeutsche Zeitung" oder anders gesagt: Es ist der Toni-Kroos-Fußball, der die deutschen Auftritte bei dieser Tour de France prägt.

Dass dies Begehrlichkeiten weckt ist in diesem Geschäftsfeld zwangsläufig: Angeblich soll Toni Kroos bei Manchester City mit seinem neuen Trainer Pep Guardiola auf der Begehrlichkeitsliste ganz oben stehen. Nach einem guten Kroos-Spiel gegen Italien könnte der Deutsche seinen Marktwert noch weiter nach oben treiben.