Liebevolle Ironie, schwungvolle Choreografie

21.04.2008 | Stand 03.12.2020, 5:58 Uhr

Hautfarbene Korsetts, Bein, Hut und Federboa: Am Ende sind Angela Kockers und ihre Tänzerinnen in der Gegenwart angekommen, die Requisiten, Zeugen längst vergangener Zeiten, sind nur noch zum Spielen da. - Fotos: Hammerl

Neuburg (DK) Als Hahn im Korb schießt er natürlich den Vogel ab. Raphael Beck lässt mit seiner pantomimischen Darbietung zum 30er-Jahre-Hit "Wenn die Elisabeth nicht so schöne Beine hätt’" den Funken vollends auf das Publikum überspringen, das nun begeistert mitklatscht, als seine zehn Mädels im kessen 20er-Jahre-Look ihr drittes (Schaufensterpuppen)bein schwingen.

"Als Frauen ihre Korsetts in die Donau warfen" ist die mitreißende Tanzrevue der Städtischen Schule für Tanztheater Neuburg überschrieben. Angela Kockers, Leiterin der Dr.-Fritz-von-Philipp-Schule, und ihre mehr als 30 Tänzerinnen leisten damit ihren ganz persönlichen Beitrag zur Sonderausstellung "Umbrüche" von Stadtmuseum und Stadtarchiv. In neun unterschiedlichen Bildern zeigen die Mädchen zur Musik von Claude Debussy, Johann Strauß, John Kander, Guillermo Lago und Sergej Berinskij, was sie gelernt haben. Leichtfüßig schweben oder tanzen sie, mitunter hüpfen sie wie zu Zeiten des in mehrfacher Hinsicht historischen Turnfestes anno 1927 über die Bühne des Stadttheaters Neuburg. Historisch allein schon deshalb, weil es das erste war und nicht nur aufgeregtes Geschnatter bei den jungen Damen (Nina Einhauser, Lena Gritschneder, Lisa Hartmann, Eva Heindl, Fritzi Hoffmann, Ann-Marie Reuthlinger, Michelle Tchassem Tagny, Carlotta von Tubeuf) auf der Bühne hervorruft, sondern damals tatsächlich Kirche und Moralisten auf den Plan rief, die vor Sittenverfall warnten. Was Raphael da aus der Tageszeitung von damals vorliest, klingt heute wie eine Glosse. "Beschwerden wegen nackter Beine liegen vor", stand da zu lesen, "da sich leider nicht alle an die Anweisung hielten, unbedingt lange Hosen zu tragen."

Liebevolle Ironie in schwungvoller Choreografie – solch kreative und humorvolle Geschichtsstunden dürften gerne öfter zu sehen sein. Wie die Tänzerinnen zu den Walzerklängen von Strauß’ "Blauer Donau" die auf der Wäscheleine hängenden Korsetts auf das blaue Tuch "Donau" werfen, während andere in Trockenübungen Schwimmerinnen mimen – das ist greifbare Geschichte und Humor pur.

Die Bräute (Jennifer Biber, Isabell Mayer, Sarah Müller-Pfaff, Sophie Retzer, Nadine Stöger, Carlotta von Tubeuf, Annalena Werner, Stephanie Wünsch) sind nicht nur eine Augenweide, sondern sorgen mit selbst verfassten Texten, die ihre geheimsten Wünsche verraten, für herzhafte Lacher, ebenso mit ihrem Jawort, das mal kess, mal patzig, mal verträumt, dann wieder cool oder gar wie eine Drohung ausgesprochen wird.

Ernster geht es bei "Tango" und "Künstlerinnen" zu. Katharina Benning, Anna Ilmberger, Barbara Klinger, Christiane von der Marwitz, Anja Mertl, Julia Raba und Lena Raba obliegt der nachdenkliche Teil. Bekannte Frauen kommen zu Wort, Schauspielerin Marlene Dietrich, Modeschöpferin Coco Chanel, die Malerin Frida Kahlo und andere mehr. Frauen, die ihren Weg gingen und auf verschiedene Weise dazu beitrugen, das starre, auf Küche, Kinder und Kirche fixierte Frauenbild des 19. Jahrhunderts zu modernisieren. Eine großartige Persiflage in hohem Tempo, witzig, spritzig und informativ, die unterlegt mit den Klängen alter Schellackplatten eine knisternde, geschichtsträchtige Atmosphäre heraufbeschwört. Wunderbares Tanztheater für Jung und Alt, so dass Applaus und Bravorufe nicht ausbleiben.