Liebe in schwerer Zeit

27.04.2009 | Stand 03.12.2020, 5:00 Uhr

München (DK) "Nur nicht arbeitslos werden", hofft Johannes Pinneberg inständig. Schließlich erwartet seine Braut Emma, von ihm liebevoll "Lämmchen" genannt, ein Kind. Eine Familie will er gründen und hoffnungsvoll in die Zukunft blicken. Doch die Verhältnisse, sie sind nicht so. Die Weltwirtschaftskrise von 1929 nach dem Schwarzen Freitag an der New Yorker Börse schlägt auch in Deutschland unerbittlich zu, die Arbeitslosenzahl schnellt bis 1932 auf über sechs Millionen hoch.

Im Jahre 1932 schrieb Hans Fallada (1893–1947) den autobiografisch angehauchten Erfolgsroman "Kleiner Mann – was nun", eine der besten literarischen Schilderungen des politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Zustands Deutschlands vor Hitlers Machtergreifung. Tankred Dorst und Peter Zadek haben bereits 1972 eine beklemmende Klassenkampfshow aus dieser Vorlage destilliert, die der belgische Regisseur Luk Perceval nun in einer eigenen Bearbeitung in den Münchner Kammerspielen als ungemein melancholisch-vitale Revue noch toppte.

Durchgehend düster ist das Licht, das die Schatten der Figuren ganz symbolisch an die Bühnenwände wirft. Dazu läuft der Dokumentarfilm "Berlin – Sinfonie einer Stadt" von 1927 großformatig im Hintergrund ab: Szenen von ausgemergelten Arbeitslosen beim Essenfassen in den Suppenküchen und Revuegirls mit ihren zwielichtigen Gigolos, pulsierendes Leben rund um das Brandenburger Tor und Elend in den Mietskasernen – das ganze Spektrum zwischen den Roaring Twenties und den Aufmärschen der SA nicht als Ablenkung vom Spiel auf der Bühne, sondern als historische Ergänzung des Geschehens.

Rund um ein riesengroßes Jahrmarktsorchestrion in der Mitte lässt Perceval, der bisher als Regieberserker galt, in ungewohnt schockfreier Realisierung, aber mit beklemmendem psychologischem Tiefgang die Geschichte von Johannes Pinneberg und seinem "Lämmchen" als packende Geschichts- und Liebeslektion hier abrollen, die trotz aller wirtschaftlichen Nöte ein Herz und eine Seele sind.

Ungemein anrührend, ohne freilich ins Sentimentale oder gar Kitschige abzugleiten, ist diese zwischen Brechts epischem Theater und Horváths kritischen Volkstheaterstücken angesiedelte Neuinszenierung geraten, die vom kleinen Glück in einem immer brutaler werdenden Kapitalismus kündet.

Das passende Stück zur rechten Zeit, in dem das Ensemble der Kammerspiele schauspielerische Glanzleistungen vollbringt: Neben Peter Brombacher, Hans Kremer, Stefan Merki und Wolfgang Pregler in Mehrfachrollen brillieren vor allem André Jung als arrogant-soignierter Anzugsverkäufer und Gundi Ellert als abgetakelte Vettel Mia Pinnenberg, die ihr Begehren nach spendablen Männern und Alkohol voll auslebt. Und hinreißend naiv-burschikos Annette Paulmann als ebenso liebesbedürftiges wie patentes "Lämmchen" mit Courage und Berliner Schnauze sowie Paul Herwig als der allen Unbillen hoffnungsvoll trotzender, fürsorglicher und sensibler Johannes Pinneberg.

Jubel und Ovationen für das Ensemble und den Regisseur des nach viereinhalb Stunden Aufführungsdauer zwar erschöpften, aber restlos begeisterten Premierenpublikums.

Weitere Aufführungen an den Kammerspielen am 4. und 24. Mai; Kartentelefon (0 89) 23 39 66 00.