Ingolstadt
Liebe aufs erste Lesen

Eine Ägypterin schreibt ihre Doktorarbeit über Marieluise Fleißer

21.11.2014 | Stand 02.12.2020, 21:57 Uhr

Sie kennt sich besser mit Marieluise Fleißer aus als die meisten Ingolstädter: Die Ägypterin Shaimaa Ahmed El-Saghir promoviert über die Schriftstellerin. - Foto: Eberl

Ingolstadt (DK) Sie ist Marieluise Fleißer zum ersten Mal im hintersten Winkel einer Bibliothek in Kairo begegnet. Es war Liebe aufs erste Lesen – auch wenn die junge Ägypterin noch nicht alles verstehen konnte. Jetzt promoviert Shaimaa Ahmed El-Saghir über ihr Ingolstädter Idol – und forscht im Stadtarchiv.

In ihrer Doktorarbeit geht es um Bertolt Brechts Einfluss auf das Schreiben von Marieluise Fleißer. Zugegeben, kein ganz einfaches Thema, gerade, wenn man Deutsch als Fremdsprache gelernt hat. Doch Shaimaa Ahmed El-Saghir ist glücklich damit. Das Lesen, aber auch das Schreiben und Formulieren auf Deutsch machen ihr längst keine Probleme mehr. Ihre Magisterarbeit hat sie vor fünf Jahren auch schon in Ingolstadt geschrieben – natürlich auch über ihr Lieblingsthema: Marieluise Fleißer. Und zwar in Verbindung mit ihrem zweiten Lieblingsthema: Feminismus.

Eine feministische Ägypterin, die ein Kopftuch trägt? Wie passt das zusammen? „Ich bin Muslimin und möchte meiner Religion folgen, deshalb das Kopftuch. Niemand zwingt mich, es zu tragen. Innerlich bin ich Feministin, ich finde, die Frau muss ihre Rechte kennenlernen, sie muss ihre Rolle haben und die ist nicht: zu Hause bleiben und die Kinder hüten.“ Da besteht bei Shaimaa Ahmed El-Saghir tatsächlich keine Gefahr. Sie lehrt in Ägypten Deutsch als Fremdsprache, promoviert selber, hat eine Familie in Kairo. „Mein Mann steht hinter mir, er findet es toll, eine Frau mit Doktortitel zu haben“, erzählt sie.

Drei Semester lang hat Shaimaa Ahmed El-Saghir an der Universität Eichstätt promoviert, jetzt vollendet sie die Arbeit in Kairo an der Al-Azhar Universität. Wieso? „Weil ich Zwillinge bekommen habe“, erzählt sie lächelnd, „und nicht alleine mit zwei Kindern in Deutschland sein wollte.“ Ihr Mann hat seine Arbeit in Ägypten und konnte deshalb nicht nach Deutschland nachkommen. „Das war aber kein Problem, mein Professor in Kairo war auch neugierig auf das Thema, er ist da wie ich und hat es übernommen.“ Shaimaa Ahmed El-Saghir sieht ganz deutlich Brechts Einflüsse in Fleißers Werk. „Sie war beeindruckt von seinem Genie, ich weiß, dass Brecht der Grund dafür war, dass sie ihr Stück ,Pioniere in Ingolstadt’ dreimal bearbeitet hat.“ Auch der Bruch der Beziehung zwischen den beiden Schriftstellern beschäftigt die Ägypterin. Brecht hatte das Stück szenisch verschärft für eine Aufführung in Berlin, es kam zum Theaterskandal. Und das beste am Thema: Zum Recherchieren kann sie wieder nach Ingolstadt kommen.

Mit der Stadt verbindet sie jetzt neben ihrer Liebe zu Marieluise Fleißer noch mehr: „Meine Kinder sind in der Ingolstädter Klinik geboren worden, das war unglaublich“, erzählt sie. Heute sind Ahmed und Jussuf drei Jahre alt. Wenn sie ein bisschen größer sind, will Shaimaa Ahmed El-Saghir mit ihnen wiederkommen und ihnen ihre Geburtsstadt zeigen. „Ich mag Ingolstadt sehr, es hat etwas Modernes und etwas Altes.“ Noch sind die beiden aber zu klein – „sie könnten sich später nicht mehr erinnern“.

Eine Ägypterin, die sich besser mit Marieluise Fleißer auskennt als die meisten Ingolstädter? „Na freilich“, sagt sie in bestem Bayerisch. Nach drei Aufenthalten in Ingolstadt kommt das mit dem Dialekt eben von selbst. Das ist auch gut so, schließlich hat Marieluise Fleißer teils in ihrem Heimatdialekt geschrieben. „Die Sprache war am Anfang ganz schön schwer für mich“, sagt Shaimaa Ahmed El-Saghir. Doch heute klappt es bestens.

Und warum eigentlich die Liebe zu Marieluise Fleißer? „Ich habe eine unabhängige Frau gesucht, die über ihr Leben mit Männern schreibt, aus ihrer Sicht, da habe ich sie gefunden. Heute sehe ich viele Mädchen in Fleißer – sie denken am Anfang nur mit dem Herzen. Marieluise Fleißer hat in der Liebe auch so viel erlitten.“