Nürnberg
Lichter, Lieder und viele Süßigkeiten

Wenn Tannenbaum und Adventskranz Neuland ist: Flüchtlinge feiern erstmals Weihnachten

23.12.2014 | Stand 02.12.2020, 21:50 Uhr

Was es mit den Kerzen auf dem Kranz auf sich hat, weiß Flüchtling Turi aus Afghanistan erst, seit er in Deutschland ist - Foto: Krizak

Nürnberg (HK) Viele Flüchtlinge in Deutschland feiern in diesem Jahr das erste Weihnachten ihres Lebens. Die deutschen Bräuche stellen sie manchmal vor Rätsel, ihre Wünsche sind dafür umso klarer.

Turi nimmt ein Streichholz, beugt sich über den Adventskranz und zündet die roten Kerzen an. Hinter ihm an der Wand hängt ein Adventskalender, im Hausflur steht schon der Weihnachtsbaum bereit. Für Turi ist all das keine Selbstverständlichkeit. Warum es jeden Tag etwas Süßes gibt und wann er welche Kerze anzünden kann, musste er erst erklärt bekommen. Er lacht. „Das ging am Anfang durcheinander“, erzählt er.

Turi stammt aus Afghanistan und ist nach Deutschland geflüchtet – Weihnachten hatte er bis zu seiner Ankunft in Deutschland nie gefeiert. Mit Turi sitzen noch andere junge Flüchtlinge am Tisch. Sie wohnen gemeinsam in einer Wohngruppe der Caritas in Nürnberg. Die meisten von ihnen sind Muslime. Trotzdem bereiten sie sich heute auf ihre Weihnachtsfeier vor. Tischdeko basteln steht auf dem Plan. Mit bunten Stiften verzieren sie die Serviettenringe, die bei der Feier gebraucht werden.

Daniela Popp betreut die Wohngruppe. „Lichter und Lieder bei der Feier machen ein tolles Ambiente – das ist auch für Nicht-Christen schön“, sagt sie. Überall in den bayerischen Flüchtlingsunterkünften finden derzeit Weihnachtsfeiern statt. Sozialverbände und Bürgerinitiativen kümmern sich darum. In der Münchner Bayernkaserne feiern Asylbewerber. Und in Nürnberg besucht das Christkind Flüchtlingskinder und verteilt kleine Geschenke.

Auch wenn viele der Flüchtlinge bisher kein Weihnachten gefeiert haben, sei es für sie eine schöne Erfahrung, sagt auch Erwin Bartsch von der Asylgruppe Zirndorf. „Santa Claus ist international bekannt. Auch wenn die Menschen ihre eigenen religiösen Feste haben, kommen sie gerne, um mitzufeiern“, sagt er. Aber auch Bartsch kennt die Startschwierigkeiten mit dem Adventskranz. „Wir haben einen Kranz in der Cafeteria der Zirndorfer Aufnahmeeinrichtung und es war zu Beginn niemandem zu vermitteln, warum nur eine Kerze brennt. Da brannten dann alle vier – aber das war auch schön“, meint er pragmatisch.

Zwar sind unter den Flüchtlingen auch viele orthodoxe Christen, die Weihnachten auch zu Hause feiern würden, aber die Bräuche aus ihrer Heimat unterscheiden sich stark von den deutschen Traditionen. Das erzählt auch Fikirte aus der Nürnberger Wohngruppe. Die 18-Jährige aus Äthiopien ist orthodoxe Christin. Weihnachten beginnt in ihrer Heimat erst am 6. Januar. „Wir sind die ganze Nacht in der Kirche und übernachten dort auch“, erzählt sie. Bis dahin werde gefastet. In Deutschland sei das gerade keine leichte Aufgabe, denn überall gäbe es Plätzchen und Schokolade, sagt die Schülerin.

Jeder der Jugendlichen hat seine eigene, schlimme Fluchtgeschichte. Was sie genau erlebt haben, wissen auch die Betreuer nicht immer. Umso mehr versuchen sie, den Flüchtlingen ein schönes Weihnachtsfest zu bereiten. Wer auch in der Heimat Weihnachten feiert, so wie Fikirte, vermisst gerade in dieser Zeit seine Familie besonders. Wenn die Flüchtlinge über ihre Weihnachtswünsche sprechen, wird deutlich, wie sehr sie mit existenziellen Sorgen beschäftigt sind – und mit Themen ganz normaler Jugendlicher.

„Ich wünsche mir eine Arbeitserlaubnis – und eine Playstation“, sagt einer der Jungen. Und natürlich würden sie alle gerne dauerhaft in Deutschland bleiben. Bisher sind sie geduldet. „Aber diese Duldung im Nacken und das Gefühl, sie könnten jederzeit abgeschoben werden, macht sie nervös“, sagt Betreuerin Popp. Fikirtes größter Weihnachtswunsch ist eine eigene Wohnung. Sie ist nicht mehr minderjährig und dürfte aus der Wohngruppe ausziehen, doch etwas Eigenes zu finden, sei schwer. Außerdem würde sie gerne ohne die Residenzpflicht leben, die sie zwingt, im Bezirk der zuständigen Ausländerbehörde zu bleiben. „Ich würde mir gerne mal etwas von Deutschland ansehen“, sagt sie.