Sperberslohe
Letzte Chance für "Gorbatschow"

26.04.2011 | Stand 03.12.2020, 2:53 Uhr
Der prüfende Blick auf das Gebiss ist für Tamme Hanken der Start der Behandlung. Seinem Ruf als "Knochenbrecher" wird der TV-bekannte Pferde-Chiropraktiker beim kräftigen Zug am Hinterbein von Hengst Gorbatschow (unten links) gerecht. Bei Pony Gianna von Simone Burkhart (unten rechts) rät der Ostfriese dringend zu einer anderen Beschlagung. −Foto: Chloupek

Sperberslohe (DK) Gorbatschow schnauft und schwitzt. Und das ist kein Wunder bei einer derartigen Rosskur: Der "Knochenbrecher" Tamme Hanken hat den Hinterfuß des vierjährigen Hengstes in seinen gewaltigen Pranken. Der Zweimeter-Hühne zieht kräftig daran, es knackts laut und vernehmlich: "Hab ihr gehört? Das war sein Becken."

Tamme Hanken gilt nicht nur unter den Pferdefreunden in der gesamten Republik als der Pferde-Doktor schlechthin. Er hilft Rössern und Ponys mit handfester Chiropraktik wieder auf die Beine – daher der Beiname "Knochenbrecher". Hanken soll so auch schon edle Warmblüter des britischen Königshauses behandelt haben. Die TV-Auftritte des "XXL-Ostfriesen" haben längst Kultstatus, seine Pferde-Reha-Klinik in Filsum nordwestlich von Oldenburg bietet ein Rundum-Sorglos-Paket von der Pferdesauna bis zur Hydrotherapie. Weil aber nicht jeder mit seinem Tier durch die gesamte Republik reisen kann, macht der Meister auch Hausbesuche: wie gestern im Altmühltal auf Gut Sperberslohe nahe Eichstätt.
 

"Er ist unserer letzte Chance", sagt Simone Burkhart, und sie meint damit sich, ihre zehnjährige Tochter und vor allem das zweijährige Pony Gianna: Die Stute ist schon drei Mal am Ringband operiert worden. "Noch eine OP kommt nicht mehr in Frage", meint die Pferdebesitzerin, nicht nur wegen der gut 1000 Euro Kosten jeweils, sondern auch, weil das Tier Schmerzen hat und hinkt. Deshalb haben sie das kleine weiße Pony gestern von Schrobenhausen nach Sperberslohe gefahren: "Der Tamme ist wirklich unsere letzte Hoffnung."

Was verschlägt den prominenten "XXL-Ostfriesen" nun ausgerechnet nach Sperberlohe? Diesen außergewöhnlichen Besuch hat Markus Bößhenz eingefädelt, selbstständiger Sattler und Pferdezüchter aus dem benachbarten Weißenburg: Er hatte vor gut anderthalb Jahren seinen Hengst Hollywood Braveheart nach end- und erfolglosen Tierartzbesuchen in den Hänger gepackt und bis nach Ostfriesland chauffiert: "Der Hengst hatte eine verschobene Wirbelsäule, und der Tamme hat geholfen, das war die letzte Rettung", sagt der Weißenburger. Was aber Hollywood Braveheart geholfen hat, wird ja wohl auch andere süddeutsche Pferde weiterbringen, dachte sich Bößhenz und hat deshalb jetzt schon zum vierten Mal einen Behandlungstag des "Knochenbrechers" in Süddeutschland organisiert – zum ersten Mal auf Gut Sperberslohe.

Über die Pferdezuchtgenossenschaft war der Termin schnell beworben; und so stehen gestern ein gutes Dutzend Besuchspferde auf dem Gutshof von Yvonne Betz. Die Gutsbesitzerin ist überzeugt, dass es bei den Pferden wie bei den Menschen ist: "Bei manchen hilft die Schulmedizin allein einfach nicht." Deshalb schaut sie dem "Knochenbrecher" jetzt gerne bei der Arbeit zu, auch wenn die 64 Pferde ihres Gutshofs selbst gerade keine Hilfe brauchen: "Die sind gut in Schuss."

Das lässt sich von den Gastpferden leider nicht sagen, und deshalb macht sich der Ostfriese nach einem kurzen, typischen "Moin, moin" gleich ans Werk und rückt dem siebenjährigen San Diego zu Leibe: "Na Schätzelein, der sieht aber rippich aus", bemerkt der "XXL-Ostfriese" in Richtung der Besitzerin Stefanie Gamperl aus Fahrenzhausen (Landkreis Freising). Hanken greift dem Tier mit beiden Händen ins Maul, wirft einen Blick auf das Gebiss, und stellt die erste Diagnose: "Für’n Leberstoffwechsel geb ich dir was mit, Schätzelein." Einen Eimer voller Spezialpulver. "Und wenn dir dein Pferd zu schnell wird, dann nimmste auch was ’von", sagt er in Richtung der Besitzerin und lacht. Der Mann ist nicht umsonst ein TV-Schlager auf NDR, seine Sprüche haben hohen Unterhaltungswert.

Und sie bringen offensichtlich wirklich Linderung, auch wenn es manchmal schon ein wenig seltsam klingt: "Ja unbedingt ins Wasser damit!", ruft der Pferde-Fachmann, und er meint damit keinen bunten Schnittblumenstrauß, sondern die offenbar zu trockenen Hufe eines weiteren Patienten: "Eine Stunde täglich den ganzen Kerl ins Wasser stellen!"

Ein Tipp, der künftig auch dem vierjährigen Gorbatschow aus Raitenbuch zu Gute kommen soll: Das Becken hat der Chiropraktiker ja gestern gleich vor Ort wieder eingerenkt. Sehr zur Freude der Besitzerin Bianca Bayer, die staunend dabeisteht und von ihren bisherigen Tierarzt- und Osteopathen-Besuchen erzählt. Doch geheilt ist der Hengst damit noch nicht: "Der Junge hat ne beginnende Athrose, Schätzelein", erklärt ihr Tamme Hanken, "da musste dranbleiben." Außerdem diagnostiziert er eine Ataxie gleich mit: Gegen diese Bewegungseinschränkung empfiehlt der Fachmann spezielles Training und Muskelaufbau: "Da kaufste noch Eisentabletten in der Apotheke, Schätzelein, aber die für Menschen für drei Euro. Wenn da ’n Pferdekopf drauf ist, kosten ’se 30 Euro."

Und während der nächste Patient schon antrabt, gibt Tamme Hanken zwischendurch Ernährungstipps für herumstromernde Hunde: "Geh mir doch weg mit dem Trockenfutter, also nee. Die Kerle brauchen Fleisch, wie wir auch. Pansen, Euter – richtig stinken muss das Zeug."