Ingolstadt
Leise Töne, große Wirkung

Khatia und Gvantsa Buniatishvili kultivieren im Ingolstädter Festsaal einen magischen Pianissimo-Stil

07.06.2018 | Stand 23.09.2023, 3:27 Uhr
Gleichklang der Emotionen: Khatia (links) und Gvantsa Buniatishvili spielten mit dem Georgischen Kammerorchester Mozart. −Foto: Fotos: Schaffer

Ingolstadt (DK) Manchmal genügt auch ein einziger Klavierhocker.

Um sich für den enthusiastischen Beifall des Ingolstädter Publikums im Festsaal zu bedanken, quetschen sich die beiden Buniatishvili-Schwestern, Khatia und Gvantsa, auf das eine Sitzmöbel, um Astor Piazzollas "Libertango" in einer eigenen, ziemlich freien Version als Zugabe zu spielen. Halb hockend, halb stehend stürzen sich die beiden in die hochromantischen Fluten, schwelgen in Melancholie, lassen die Läufe rauschen, die Akkorde beben und blitzen. Ein hochvirtuoses klavieristisches Gewitter. Wunderbar! Und ein passender Kontrapunkt zum sonstigen, ganz auf Mozart konzentrierten Programm.

Zuvor hatten die beiden in Tiflis geborenen Solisten Mozarts Konzert für zwei Klaviere KV 365 zusammen mit dem Georgischen Kammerorchester unter der Leitung von Ruben Gazarian aufgeführt. Ein fast ganz und gar georgisches musikalisches Ereignis also.

Die beiden haben einen ungewöhnlichen Zugang zu dem Konzert, weit entfernt von den kontrastreichen, herb-farbigen Deutungen, die heute in der Tradition der Originalklang-Bewegung so modisch sind. Khatia Buniatishvili, die vor fünf Jahren bereits in Ingolstadt einen zauberhaften Beethoven der leisen Töne präsentierte, geht auch Mozart mit Understatement an. Nicht der kecke Witz der Musik, nicht donnernde Lautstärke, furiose Temperamentsausbrüche sind zu hören. Sondern ganz im Gegenteil: filigrane Feinarbeit, Dezenz. Wo andere Interpreten zu Beginn der Durchführung etwa an Lautstärke und Vehemenz zulegen, gehen die beiden Georgierinnen den gegenteiligen Weg: Sie verdämmern die kleine Melodie ins träumerisch-melancholische, in einen fast fragenden Modus. Das Spiel von Gvantsa und Khatia ist weich, unprätentiös, jenseits aller vordergründigen Prägnanz, führt immer wieder ins milde Abseits des Pianissimo.

Und an diesen Stil hält sich auch das Georgische Kammerorchester. Die Musiker überziehen die Töne mit einem philharmonischen Nebeleffekt, mit einem Weichzeichner, der alle Klänge noch einmal adelt. Erst im Schlusssatz gewinnt die Interpretation der beiden Pianistinnen an Temperament, besonders Khatia donnert nun leidenschaftlicher in die Tastatur. Und ganz am Ende nach den prasselnden Laufbewegungen der Kadenz werden sie sogar schneller, lassen das Konzert geradezu triumphal enden.

Das gesamte Konzert hindurch zeigen sich die Schwestern übrigens als fast perfektes Duo. Kaum je sind gestalterische Unterschiede zwischen Gvantsa und Khatia zu vernehmen, praktisch alle Akkorde und Einsätze sind genau synchron, selbst wenn sie träumerisch das Tempo dehnen.

Allenfalls wirkt Khatia gelegentlich etwas leidenschaftlicher, zupackender. Das Zusammenspiel von Orchester und Klavieren ist so ungewöhnlich, so sensibel, so voller überraschender Nuancen, so feingesponnen träumerisch und zurückhaltend in den Soli der Oboen, dass man von einem wirklich großen Konzertereignis sprechen möchte.

Von Mozart zu Mozart kann es ein weiter Weg sein. Im zweiten Teil des Abends steht nach dem spielerisch-unterhaltsamen Klavierkonzert ein wahres Meisterwerk auf dem Programm: die "Jupiter-Sinfonie". Und Gazarian geht das Stück gründlich anders an, als das Frühwerk. Ruben Gazarian, das spürt man immer wieder, verehrt den Klassiker, nimmt ihn ernst. Und mit großer Seriosität nimmt er sich auch die letzte Sinfonie des Salzburger Genies vor.

Während das Klavierkonzert von den beiden Pianistinnen fast durchweg mit einem milden Lächeln auf den Lippen musiziert wurde, ist jetzt fast tragischer Ernst angesagt - auch wenn die Sinfonie in der Tonart C-Dur geschrieben ist. Gazarian dramatisiert die Konflikte dieser Musik, stürzt sich auf die harmonischen Abwege in der Durchführung. Im Schlusssatz wühlt er sich durch das fast schon unübersichtliche Dickicht der Motivverwebungen. Von dem samtigen Sordino-Zauber des langsamen Satzes ist kaum etwas zu spüren, so sachlich und herb führt Gazarian seine Musiker. Und selbst das eigentlich tänzelnde Menuetto ist von symphonischer Würde geprägt. Der Vorteil dieser fast schon deutsch-gewichtigen Darstellung, ist die packende Intensität, die von ihr ausgeht. Am Ende ist das Publikum ergriffen, es lächelt vielleicht nicht, aber es applaudiert hingerissen. Gazarian und sein Orchester bedanken sich mit dem Schlusssatz der A-Dur Sinfonie: virtuos, stürmisch, rasant - und auch ernst. Ein fulminanter Abschluss.

Jesko Schulze-Reimpell