Ingolstadt
Lehrerin baut Cannabis in Plantage daheim an

Sohn zeigt handgreifliche Mutter nach Streit um Drogen bei Polizei an - Amtsgericht verhängt ein Jahr Gefängnis zur Bewährung

18.11.2019 | Stand 23.09.2023, 9:31 Uhr
41 Cannabis-Pflanzen stellte die Polizei bei der Lehrerin sicher, dazu noch getrocknete Ernte: insgesamt 750 Gramm. −Foto: dpa

Ingolstadt (DK) In Gerichtsverhandlungen sind sich Richter, Staatsanwaltschaft und Verteidigung selten wirklich einig in der Beurteilung - gestern war das aber am Ingolstädter Amtsgericht anders.

"So einen Fall erleben wir nicht alle Tage", sagte Verteidigerin Veronika Hagn. Ihr Kollege Jörg Gragert meinte: "Eine außergewöhnliche Geschichte in jeder Hinsicht. " Warum dem so war, verdeutlichte Richter Günter Mayerhöfer, als er die vermeintliche Ausgangslage des Betäubungsmittelfalls anhand der Ermittlungsakten beschrieb: Denen hatte er entnehmen können, dass eine Lehrerin daheim eine Cannabis-Plantage aufgebaut und ihr eigener Sohn sie angezeigt hatte, nachdem sie diesem gegenüber handgreiflich geworden war. Zudem soll die (ehemalige) Staatsbedienstete auch noch in Verbindung zu einem Verein stehen, der sich für die Legalisierung der Droge einsetzt. "Als Lehrerin können Sie so eine Meinung nicht vertreten", berichtete Mayerhöfer der Angeklagten über seine ersten Gedanken zu dem Fall - doch wie gesagt, das waren die Akten. Einmal mehr zeigte sich gestern in dem Verfahren auch, dass Sachverhalte in der Hauptverhandlung plötzlich in einem ganz anderen Licht erscheinen können.

Das betraf aber zunächst einmal nicht die Fakten: Denn tatsächlich hatte die Ingolstädterin in ihrem Haus in einem schicken Wohnviertel eine Drogenplantage aufgebaut: 41 frische Pflanzen stellte die Polizei sicher, dazu noch alte Ernte; alles zusammen um die 750 Gramm Cannabis. "Das liest sich schon dramatisch. Da gehen andere dafür in U-Haft", sagte Staatsanwalt Martin Sokoll. Doch dieser Fall liegt eben in vielerlei Hinsicht anders. Die Heimaufzucht brachte es gerade mal auf einen Wirkstoffgehalt von fünf Prozent, also waren für das Gericht letztlich knappe 40 Gramm relevant. "Von einem grünen Daumen kann man da bei ihr nicht sprechen. . . ", sagte Verteidiger Gragert.

Wie seine Mandantin dem Gericht aber eindringlich versicherte, sei der Anbau ausschließlich ihr Werk und zudem ausschließlich für den Eigenbedarf ("auf keinen Fall Handel") gedacht gewesen. Die Frau nannte psychische (ein schwerer Schicksalsschlag in der Familie) und auch medizinische Gründe (chronische Schmerzen), warum sie auf die Wirkung von Cannabis gesetzt habe. "Es klingt dumm, aber ich wollte so wenig illegal wie möglich vorgehen, mich eben nicht an die Dealerszene wenden", sagte die Angeklagte in ihrer teils sehr emotionalen Einlassung. "Ich hätte gleich zum Arzt gehen sollen. " Von diesem bekomme sie inzwischen Cannabis-Rezepte.

Außergewöhnlich ist ihre Geschichte auch wegen der familiären Situation: Der eigene Sohn hat die Mutter auffliegen lassen. In der Osternacht sei ein wegen seiner Internet-Zockerei schon die ganze Woche schwelender Streit letztlich komplett eskaliert, schilderte der 16-Jährige dem Gericht sehr offen auch seinen Einfluss auf das Geschehen. "Ich bin genauso schuld, ich verstehe meine Mama. " Aus Wut auf seine Mutter habe er einen Schlüssel für den Speicher nachgemacht, dort die Plantage mit dem Handy fotografiert und die Pflanzen dann versteckt. Um seinen PC wiederzubekommen, habe er gedroht, das Cannabis selbst zu verkaufen - oder die Polizei zu rufen.

Seine Mutter verlor die Nerven, als sie sein Handy mit den Bildern forderte und handgreiflich wurde - ihn unter anderem grob an den Haaren zog. "Untechnisch gesprochen, hat sie ihn recht gebeutelt", sagte Ankläger Sokoll. Was genau passierte, ist per Video auf einem anderen Handy festgehalten - dem des Lebensgefährten der Mutter, den sie in der Osternacht als (moralische) Unterstützung hinzugerufen hatte. Der 48-Jährige hat sich der Beihilfe zur gefährlichen (weil mit ihm als Gehilfe gemeinschaftlich begangenen) Körperverletzung schuldig gemacht.

Außerdem fand die Polizei bei einer Razzia in seiner eigenen Wohnung noch knapp 20 Gramm Cannabis. Diese habe er dort aber nur für die Lebensgefährtin verwahrt, versicherte der 48-Jährige. Er konsumiere nichts mehr, sei seit einer Verurteilung wegen einschlägiger Delikte vor gut zehn Jahren "ein gebranntes Kind" und nun geläutert. Von der Plantage seiner Freundin habe er gewusst, sich aber ansonsten rausgehalten - anders als es der etwas übers Ziel hinausschießende Sohn bei der Polizei ausgesagt hatte. "Ich wusste, dass sie es tut. Ich habe aber gesehen, dass es ihr dadurch gut geht", erklärte sich der Lebensgefährte. Das Gericht verhängte gegen ihn letztlich eine Geldstrafe über 120 Tagessätze zu je 70 Euro, also umgerechnet 8400 Euro (vier Netto-Monatsgehälter).

Bei der Angeklagten beließen es Richter Mayerhöfer und seine beiden Schöffen bei einer zur Bewährung ausgesetzten Gesamtstrafe von elf Monaten Gefängnis, bewusst ein Monat weniger als der Staatsanwalt beantragt hatte. Diese Überlegung des Gerichts hängt mit einer zentralen Wendung der Cannabis-Affäre zusammen: Durch das Strafverfahren hat die Lehrerin ihren Job verloren, was sogar Ankläger Sokoll als "die gravierendste Folge" des Drogenfalls bezeichnete. Die Angeklagte möchte aber auf alle Fälle wieder arbeiten. "Ich bin mit Leib und Seele Lehrerin", sagte sie fast flehend. Verteidiger Gragert ergänzte: "Eine solche Chance sollte man ihr geben. " Nach Beamtenrecht würde ein Verurteilter aber ab einer Strafe von einem Jahr automatisch aus dem Dienst entfernt werden.

Die Chance auf Wiederbeschäftigung wolle man "zumindest nicht verbauen", sagte Richter Mayerhöfer. Alles weitere sei allerdings eine Entscheidung der Schulbehörden.

Kein Thema dürfte dabei die angebliche Gesinnung der Frau sein. Eine Mitgliedschaft in einem Cannabis-Club wies sie genauso vehement wie auch weit von sich. Auch laut der vor Gericht aussagenden Polizeibeamten hätten sich in den Ermittlungen keine Anhaltspunkte gegeben. Trotzdem fand sich das Thema irgendwie in den Akten - aber Hauptverhandlungen laufen eben oft ganz anders ab.

Das Urteil ist rechtskräftig.

Christian Rehberger