Aichach
Lechfeld oder Lachfeld?

Hobby-Archäologe behauptet: Schlacht gegen die Ungarn fand in Wirklichkeit im Nördlinger Ries statt

19.03.2015 | Stand 02.12.2020, 21:31 Uhr

 

Aichach (DK) Die LechfeldSchlacht gegen die Ungarn im Jahr 955 wird oft „Geburtsstunde der deutschen Nation“ genannt. Aber fand sie überhaupt bei Augsburg statt – oder war vielmehr das Lachfeld bei Nördlingen der Schauplatz

In Königsbrunn soll eine Erlebniswelt mit großem Diorama, an der sich auch der Landkreis Aichach-Friedberg beteiligt, an das historische Ereignis erinnern. Doch die Schlacht der Truppen von König Otto I. gegen magyarische Reiterhorden sei gar nicht am Lechfeld bei Augsburg, sondern am Lachfeld im Nördlinger Ries geschlagen worden, behauptet nun Jens Essig, Autor historischer TV-Dokumentationen.

Seine These, die Essig in dem aktuellen Heft der Zeitschrift „Bayerische Archäologie“ erläutert, stützt er vor allem auf zahlreiche archäologische Fundstücke, die er dort entdeckt hat. Darunter sind auch 80 ungarische Pfeilspitzen aus ottonischer Zeit. Bereits Anfang der 1990er Jahre habe er, so Essig, etwa 200 Fundstücke einem Münchner Museum übergeben – dort seien sie allerdings nicht mehr auffindbar. 2013 habe eine erneute Suche mit Metalldetektoren 400 weitere Stücke aus der Zeit zutage gefördert, darunter auch die 80 Pfeilspitzen.

Für Essig ist klar: Die berühmte Schlacht fand nicht auf dem Lechfeld, sondern auf dem Lachfeld statt, einer weitläufigen Ebene in der Nähe von Christgarten südlich von Nördlingen. Die „Erlebniswelt“ sei damit am falschen Standort geplant, so Essig.

Unbestritten ist, dass der Ort der Schlacht unter Historikern durchaus diskutiert wird. Zu dürftig ist die Quellenlage, zu gering waren die bisherigen Funde, vor allem am vermuteten Schlachtfeld in der Nähe des Lechs. Für Essig ist das damit erklärbar, dass die Schlacht dort überhaupt nicht stattgefunden hat.

Für den Friedberger Historiker und Kreisarchivpfleger Hubert Raab ist der Grund ein anderer: Der Ort der Schlacht könne „nur ,westlich des Lechs’ vermutet werden, wo Hochwasserfluten die Spuren weggeschwemmt oder zugedeckt haben“, schreibt er in dem gemeinsam mit seiner Frau Gabriele verfassten Buch „Spurensuche im Wittelsbacher Land“. Auch Raab konstatiert aber: „Der Schlachtort kann aus den Quellen nicht lokalisiert werden, soviel man auch hineininterpretiert.“

Genau die wenigen zeitgenössischen Quellen lassen es laut Essig aber ebenfalls als wahrscheinlich erscheinen, dass die Schlacht im Nördlinger Ries stattfand. Aus den Überlieferungen geht hervor, dass die Ungarn, die Augsburg belagerten, am 9. August die Stellungen vor der Stadt verließen, als König Otto mit seinem Heer anrückte. Einen Tag später griffen die Ungarn das ottonische Heer dann von Norden an.

Nachdem man für die Infanterie der damaligen Zeit von einer Marschgeschwindigkeit von etwa 30 Kilometern am Tag ausgeht, erscheint das Lechfeld als Ort der Schlacht plausibel. Essig argumentiert, es sei durch kein einziges Indiz untermauert, dass Fußtruppen die ungarischen Reitertruppen begleitet hätten. Die Steppenreiter hätten dagegen 120 Kilometer und mehr am Tag zurücklegen können. Das Ries lag also in Reichweite, auch die Informationen aus den Quellen über die Bewegung des ottonischen Heeres deuteten auf das Lachfeld bei Christgarten als Schlachtfeld hin. Nicht zuletzt gebe es dort Reste von Befestigungsanlagen aus der Ungarnzeit, die den Truppen des Königs Schutz geboten hätten.

Die sogenannten Ungarnwälle gibt es freilich auch an anderen Orten, Raab identifiziert mindestens vier bis fünf alleine für den Landkreis Aichach-Friedberg. Einer davon liegt nördlich von Todtenweis. In der Nähe des Orts wurde vor wenigen Jahren auch ein besonders seltenes archäologisches Zeugnis aus der Zeit der Ungarnzüge gefunden: ein aufwendig gestaltetes Geschirr eines ungarischen Pferdes, ein noch viel selteneres Fundstück als etwa die ebenfalls schon seltenen ungarischen Pfeilspitzen. Zudem ist das Pferdegeschirr einfacher und eindeutiger zuzuordnen als Pfeilspitzen.

Ein starker Hinweis also auf das Lechfeld als Ort der Schlacht – zumal, wie auch Essig in seinem Aufsatz ausführt, Schlachten keine singulären, auf einen Ort und einen kurzen Zeitraum beschränkte Ereignisse sind, sondern sich mitunter über Tage und größere Räume erstreckten. Das bei Todtenweis gefundene Pferdegeschirr könnte demnach aus der Schlacht auf dem Lechfeld stammen. Für Jens Essig ist es dagegen ein Beleg für seine These: „Da der ungarische Rückzug über Augsburg führte, kam es auch im Lechfeld zu vereinzelten Verfolgungsgefechten. Der Fund des bereits erwähnten Zaumzeugs nördlich von Augsburg bei Todtenweis fügt sich trefflich in dieses Bild“, schreibt er in „Bayerische Archäologie“.

Der Amateurhistoriker Essig glaubt, an einer etablierten historischen Vorstellung zu rütteln, die vielen nicht passe. Vielleicht, so mutmaßt er in seinem Artikel, weil die Planung der „Erlebniswelt LechfeldSchlacht“ in Königsbrunn schon zu weit fortgeschritten sei? An der – im Kreistag durchaus umstrittenen Erlebniswelt – hat sich der Landkreis Aichach-Friedberg bisher mit 15 000 Euro beteiligt.

Der Pustet-Verlag, in dem „Bayerische Archäologie“ erscheint, bewirbt jedenfalls das Heft schon damit, dass die Geschichtsbücher umgeschrieben werden müssten. Betrachtet man die Lechfeld-Schlacht vor allem in ihrer identitäts- und geschichtsbildstiftenden Wirkung als „Geburtsstunde der deutschen Nation“, betrachtet man sie als Ereignis des „kollektiven Gedächtnisses“ im Sinne des Kulturwissenschaftlers Jan Assmann, dann ist unter Umständen aber weniger wichtig, wo sie stattfand, als dass sie stattfand und welche Bedeutung man der Schlacht in der Folge zuschrieb.

Und bevor die Königsbrunner nun allzu große Sorge um die Erlebniswelt und die erwarteten Touristenströme bekommen, können sie ein paar Kilometer nach Norden schauen: In Aichach interessiert längst niemanden mehr, ob Kaiserin Sisi tatsächlich jemals im Unterwittelsbacher „Sisi-Schloss“ gewesen ist.