Abenberg
Lebendiger denn je

17.06.2010 | Stand 03.12.2020, 3:56 Uhr

Steve Stevens (links) stiehlt mit seinen sensationellen Gitarrensoli Billy Idol fast die Show. - Foto: Fischer

Abenberg (DK) Seine Markenzeichen sind die geballte Faust, die höhnisch hochgezogene Oberlippe und herausgestreckte Zunge, "schockblondes" Stachelhaar und schwarzes Leder-Outfit – und bei seinen Bühnenauftritten erwarten die Fans, dass er den nackten Oberkörper zeigt. Auf Burg Abenberg, dem fränkischen Rock-Mekka, präsentierte Billy Idol all dies am Mittwochabend, vor allem aber mitreißende Musik, die sich längst von ihren Punk-Wurzeln entfernt und hin zum melodiösen Rock entwickelt hat. Es war der Auftakt einer nur vier Stationen umfassenden Deutschland-Tournee, die Idol in den nächsten Tagen weiter nach Ravensburg und Bonn führt.

In der kleinen Stadt im Landkreis Roth erwarteten ihn rund 2500 Fans auf dem Anger der historischen Burg Abenberg. Im Vorprogramm war The Damned zu erleben, jene britische Formation um Gitarrist Dave Vanian und Sänger Captain Sensible, die neben den Stranglers und den Sex Pistols zu den Ahnvätern des Punk zählt. Die Band wurde zu dem Konzert eigens aus London eingeflogen. Ihre "Anheizer"- Aufgabe erfüllte sie so solide wie voriges Jahr Bonfire für Foreigner. Wer sich freilich erhofft hatte, Capt. Sensibles einstigen Solo-Hit "Say Captain – Say Wot" live zu erleben, wurde enttäuscht – dafür krönte der nicht minder bekannte Song "Eloise" den Auftritt, Barry Ryans Hit von 1968, der in der Cover-Version von The Damned 1986 zu einem weiteren Erfolg geworden war.
 

Als Billy Idol um halb zehn Uhr die Bühne betritt, drängen die Fans nach vorne – gestandene Endfünfziger ebenso wie Jugendliche. Idol beginnt programmatisch mit "Ready, Steady, Go!"; zwei große Hits, das melodiöse "Dancing With Myself" und der Chartbreaker "Flesh For Fantasy" sind kurz darauf unerwartet früh zu hören, während grelle Stroboskop-Blitze die Bühne erhellen. Begleitet wird Idol von Stephen McGrath (Bass), Derek Sherinian (Keyboards) Jeremy Colson (Drums) und Billy Morrison (Gitarre) – vor allem aber von seinem sensationell aufspielenden langjährigen Partner Steve Stevens an der Lead-Gitarre, der auf der Bühne absolut ebenbürtig neben Idol agiert und mit etlichen unglaublichen Soli die Zuhörer begeistert (und Idol fast die Show stiehlt!): In die Soli des New Yorkers fließen Flamenco-Anleihen ein, manches erinnert an die Sound-Experimente eines Jimi Hendrix; oft verblüfft Stevens durch die Geschwindigkeit seiner Gitarrenläufe.

Es ist ein Wunder, dass Idol, heute 55 Jahre alt, überhaupt noch lebt: Schon zweimal schien für ihn die Rock-Devise "Die young" zu gelten: 1990 erlitt er einen beinahe tödlichen Motorradunfall mit schwersten Verletzungen, drei Jahre darauf blickte er nach einer Überdosis an Drogen- und Medikamenten dem Tod abermals ins Auge. In Abenberg merkt man davon nichts mehr: Idol springt auf und über die Lautsprecherboxen, nimmt altbekannte Posen ein und ist lebendiger denn je – allerdings offenbar nicht mehr ganz textfest: Während des Konzert baut er einen Pultständer vor sich auf, um immer wieder einen gar nicht diskreten Blick in die Songtexte werfen zu können.

Wie sehr ihm der Abend selbst Spaß macht, lässt sein mehrfaches herzliches Lachen ahnen; außerdem witzelt er in einer Parodie auf John F. Kennedy: "Ick bin ain Punk-Rocker", Abenberg stellt für ihn Deutschland dar ("Deutschland, do ya feel allright"), er stimmt sogar die Nationalhymne an – mit dem aktuellen Chart-Erfolg von Bonfire im Ohr? Die Fans in Franken erhalten von Idol, was sie sich erhofft haben: Eine mitreißende Version von "Sweet Sixteen" ertönt, später folgt der Hit "Eyes Without A Face", und "White Wedding" stellt die erste Zugabe dar. Bei einer zehnminütigen Version des Klassikers "Rebell Yell" singt das Publikum lautstark mit, Feuerzeug-Flammen werden über den Köpfen geschwenkt und erhellen die Nacht am Ende eines mitreißenden zweistündigen Konzerts.