Lastwagen ausgeraubt

Fünf mutmaßliche "Planenschlitzer" stehen wegen schweren Bandendiebstahls in München vor Gericht

24.06.2020 | Stand 23.09.2023, 12:32 Uhr
Patrik Stäbler
Zu Verhandlungsbeginn werden die Bandenmitglieder einzeln in den Gerichtssaal geführt. −Foto: Stäbler

München - Die Nacht ist hereingebrochen über dem Parkplatz Adelzhauser Berg-Süd an der A8 in Richtung München; Dunkelheit umgibt die Sattelschlepper, die hier auf den drei Dutzend Schrägparkplätzen abgestellt sind.

Irgendwann zwischen Mitternacht und 4 Uhr, so wird es die Münchner Staatsanwaltschaft später darlegen, machen sich vier Männer im Alter von 20 bis 33 Jahren an den Lastwagen zu schaffen. Erst schlitzen sie die Planen der Sattelanhänger auf, danach durchsuchen sie die Ladeflächen nach Wertgegenständen.

Bei zwölf Lkw findet das Quartett nichts, das ihm lohnenswert erscheint - erst bei Lkw Nummer 13 schlagen die Männer zu: Circa 140 Hochdruck-, Dampf- und Bodenreiniger entwenden sie in dieser Oktobernacht 2018 unbemerkt aus dem Sattelanhänger. Der Gesamtwert: fast 41000 Euro. Und dies ist beileibe kein Einzelfall. Schon einen Monat zuvor hat die Bande auf einem Parkplatz an der A96 sieben Paletten mit Fahrrädern im Wert von 5100 Euro aus einem abgestellten Lkw geklaut; nur sieben Tage nach der Tat bei Adelzhausen schlägt sie auf einem Parkplatz an der A3 zu und erbeutet 148 Handstaubsauger, deren Wert auf 18000 Euro taxiert wird.

Zwischen Mai und November 2018, so hat es die Staatsanwaltschaft ermittelt, schlagen die vier Männer sowie zwei weitere Bandenmitglieder fast im Wochentakt auf verschiedenen Autobahn-Parkplätzen vor allem in Bayern zu. Die Bande stiehlt dabei so ziemlich alles, was ihr auch nur im Entferntesten wertvoll erscheint: Kartons voller Weinflaschen, Computerzubehör, Schneefräsen und Fernseher, aber auch 60 Büchsen Dosenbier und ein fünf Euro teures Parfüm. Nach mindestens 30 Taten, bei denen sie Diebesgut im Wert von mehr als 200000 Euro erbeuten, werden die Männer am 30. November auf einem Parkplatz an der A3 geschnappt. Eineinhalb Jahre später müssen sich fünf von ihnen vor dem Münchner Landgericht verantworten. Der Vorwurf lautet: schwerer Bandendiebstahl.

Der Prozessauftakt am Mittwoch findet im Hochsicherheits-Gerichtssaal in der JVA Stadelheim statt. Während die Staatsanwältin gut eine halbe Stunde lang die 20-seitige Anklageschrift verliest, zeigen die fünf Angeklagten keinerlei Regung und wirken beteiligungslos. Hinterher erklären die Verteidiger unisono, dass sich ihre Mandanten zumindest an diesem Tag weder zur Person noch zur Sache äußern werden.

Prozesse wie der in München sind in deutschen Gerichten an der Tagesordnung. So geht das Bundesamt für Güterverkehr (BAG) auf Basis von Angaben einzelner Landeskriminalämter bei "Ladungsdiebstählen" im Bundesgebiet von einer jährlichen Fallzahl im hohen vierstelligen Bereich aus. Im Schnitt wären das 15 bis 20 Taten - pro Tag. "Aufgrund der schwierigen Datenlage", so das BAG in seiner Untersuchung aus dem Jahr 2017 weiter, nehme man zudem eine hohe Dunkelziffer an. Das Gros der Delikte entfällt dabei auf sogenannte Planenschlitzer-Diebstähle. Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft schätzt den Wert der dabei gestohlenen Güter auf 300 Millionen Euro im Jahr. Noch höher seien die Folgeschäden durch Verzögerungen und Produktionsausfälle.

"Das Vorgehen der Täter läuft in den meisten Fällen identisch ab", teilt das Bayerische Landeskriminalamt (LKA) in Bezug auf "Planenschlitzer" mit. Diese würden zumeist auf Autobahn-Parkplätzen und in der Regel nachts zuschlagen, während die Lkw-Fahrer in ihren Kabinen schlafen. Zunächst werde mit einem Messer ein "Sichtschlitz" in die Plane geschnitten, "um die Ladung in Augenschein zu nehmen", so das LKA.

Im Anschluss würden weitere Täter im Internet prüfen, wie ertragreich die Ware im Verkauf ist. Erscheint es lohnenswert, schlägt die Bande zu - weitgehend unabhängig davon, um welche Produkte es sich handelt. "Es wird letztlich alles entwendet", so das LKA, "was schnell zu Geld zu machen ist".

Die "Planenschlitzer"-Banden seien "mehrheitlich gut organisiert und agieren hoch flexibel", heißt es beim Bundesamt für Güterverkehr, das sich dabei auf Polizeiangaben beruft. Demnach seien die Täter "fast ausschließlich männlich und stammen überdurchschnittlich oft aus osteuropäischen Ländern". Auffällig häufig schlagen "Planenschlitzer" in Grenzregionen zu, in der Nähe großer Häfen sowie auf Transitautobahnen. In Bayern finden die Taten "nahezu immer an Autobahnraststätten statt", teilt das Landeskriminalamt mit. Ein besonders betroffener Parkplatz oder eine konkrete Autobahn seien aber nicht auszumachen.

Die fünf Männer im Münchner Gerichtssaal sollen derweil laut Anklageschrift in ganz Süddeutschland ihr Unwesen getrieben haben. Ihnen droht bei einer Verurteilung wegen schweren Bandendiebstahls eine Gefängnisstrafe zwischen einem und zehn Jahren.

DK

Patrik Stäbler