Ingolstadt
"Lasst die Jungen Theater offen"

Julia Mayr, Leiterin des Jungen Theaters Ingolstadt, im Interview

26.11.2021 | Stand 08.12.2021, 3:35 Uhr
Der Adventskalender muss heuer digital stattfinden: Jeden Tag kann man um 17.30 Uhr ein Türchen auf der Homepage des Stadttheaters öffnen. −Foto: Stadttheater Ingolstadt

Die verschärften Corona-Vorschriften treffen vor allem den Kulturbereich hart. Im Stadttheater Ingolstadt gilt 2G plus und FFP2-Maskenpflicht, Kinder ab zwölf Jahren brauchen einen Impfnachweis und zur Theatervorstellung in die Werkstatt dürfen gerade mal 25 Zuschauer. Julia Mayr, die Leiterin des Jungen Theaters Ingolstadt, fürchtet, dass viele von der kulturellen Teilhabe ausgeschlossen werden.

Frau Mayr, nach dem langen Lockdown war der Start in die neue Spielzeit doch verheißungsvoll. Jetzt heißt es 25 Prozent Platzausnutzung und 2G plus. Wie fühlt sich das an?

Julia Mayr: Unsere erste Premiere diese Spielzeit, "Der Zinnsoldat und die Papiertänzerin", war ein bewegendes Erlebnis, Spieler wie Publikum hatten Tränen in den Augen, der starke Applaus am Ende galt gefühlt nicht nur der Inszenierung, sondern auch der Tatsache, dass Theater endlich wieder möglich ist, alle waren glücklich und motiviert und es fühlte sich so an, dass Theater gebraucht wird und einen wichtigen Beitrag in der Krise leisten kann. Jetzt fühlt es sich wie das Gegenteil an, schon wieder? Kulturelle Bildung steht politisch nicht an erster Stelle. Hinzu kommt ein unauflösbarer Konflikt: Wir möchten Theater für ALLE machen. Das zu ermöglichen, daran arbeiten wir seit Jahren. Durch die Maßnahmen 2G plus und die eingeschränkte Platzausnutzung schließen wir jedoch per se viele Menschen von der kulturellen Teilhabe aus.

Was ändert sich konkret für das Publikum im Jungen Theater?

Mayr: Bisher galt im Jungen Theater 3G, die regelmäßigen Schultestungen der Kinder und Jugendlichen galten auch für das Theater. Seit zwei Wochen müssen nun Kinder ab 12 Jahren in den Nachmittags- und Abendvorstellungen ebenfalls einen Impfnachweis vorlegen, obwohl die STIKO sich in ihrer Impfempfehlung für die 12- bis 17-Jährigen ausdrücklich dagegen ausspricht, "dass bei Kindern und Jugendlichen eine Impfung zur Voraussetzung sozialer Teilhabe gemacht wird". Für die Schulvorstellung konnten wir beim Gesundheitsamt erwirken, dass diese als außerschulische Bildung gewertet werden (zum ersten Mal in dieser Pandemie), nun ist wieder alles anders. Ich frage mich, wie wir von Woche zu Woche neue Maßnahmen umsetzen sollen, diese Salamitaktik ist zermürbend.

Am 3. Dezember ist Premiere von Kafkas "Verwandlung" - gedacht für Jugendliche ab 14 Jahren. Da dürfen doch eigentlich nur noch Geimpfte rein, oder?

Mayr: Tja - so bitter das ist: Zur Premiere gilt 2G plus, und wir dürfen 25 Zuschauer in die Premiere lassen. Interessanterweise gilt für Schüler zwischen zwölf und 17 Jahren zwar eine Ausnahme bei einem Restaurant-, nicht aber beim Theaterbesuch. Für mich nicht mehr nachvollziehbar.

36 Vorstellungen von "Drei Haselnüsse für Aschenbrödel" sind noch geplant. Die meisten davon sind Schulvorstellungen. Wie reagieren die Schulen eigentlich?

Mayr: Zum jetzigen Zeitpunkt gibt es natürlich auch Schulen, die absagen. Aber die meisten Lehrer und Lehrerinnen möchten, dass ihre Kinder etwas Schönes erleben. Auch wenn die Infektionszahlen unter Kindern und Jugendlichen hoch sind, ist das Virus für die allermeisten ungefährlich. Die Kinder haben nicht die Verantwortung für die derzeitige Lage, es ist nicht ihre Aufgabe, zur Lösung dieser Situation beizutragen. Das Wintermärchen ist für viele Schulen ein wichtiges Ritual, das für manche jetzt zum zweiten Mal ausfallen wird.

In die Werkstatt dürfen nur noch 25 Zuschauer. Spielen Sie mehr Vorstellungen?

Mayr: Wir spielen schon jeden Tag, mehr geht nicht. Wir können nur Wartelisten anlegen, mehr können wir leider nicht machen.

Traditionell bietet das Junge Theater einen besonderen Adventskalender an - mit Basteln und Theater und vielem mehr. Was planen Sie jetzt?

Mayr: Eigentlich war ein Hybrid-Adventskalender geplant. Analog in der Werkstatt, um die nötigen Hygienemaßnahmen einhalten zu können, sowie digital, wenn die Werkstatt belegt ist. Nun haben wir uns aber kurzfristig für einen digitalen Adventskalender entschieden. Täglich um 17.30 Uhr kann man ab 1. Dezember ein Türchen auf der Homepage des Stadttheaters öffnen.

Planen Sie denn weitere digitale Projekte?

Mayr: Wir überlegen gerade, eine digitale Version vom Märchen und von der "Verwandlung" zu machen. Auch wenn wir der Überzeugung sind, dass Theater nur live wirklich seine Wirkung entfalten kann. Aber für den Fall, dass wir gar nicht mehr spielen können, ist das eine Überlegung.

Wie sieht denn Ihre Prognose aus? Glauben Sie, dass das Theater bald wieder ganz schließen muss - wegen der hohen Inzidenzwerte?

Mayr: Ich fürchte ja, aber hoffe nein. Ich finde auf alle Fälle nicht schön: Nun gucke ich wieder jeden Morgen auf die Inzidenzen, es fühlt sich absurd an, dass kulturelle Bildung von einer Zahl abhängt.

Vertreter von Kinder- und Jugendtheatern haben einen offenen Brief an Staatsminister Michael Piazolo geschrieben, den Kindern den Zugang zu kultureller Teilhabe weiter zu ermöglichen. Was erhoffen Sie sich vom Minister?

Mayr: Die Briefe, die bisher an Herrn Piazolo gingen, wurden bisher eher schleppend beantwortet. Deshalb habe ich keine hohen Erwartungen. Aber es ist dennoch wichtig, immer wieder auf die Rechte und Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen hinzuweisen: Der Brief verweist auf den Umstand, dass die Politik aus gutem Grund beschlossen hat, die Schulen trotz der angespannten Situation auf jeden Fall offen zu lassen. Aus demselben Grund bitten Vertreter der Kinder- und Jugendtheater in Bayern dringend darum, den Kindern den Zugang zu kultureller Teilhabe durch den Besuch von geschlossenen Schulvorstellungen weiter zu ermöglichen. Meine Kolleginnen und ich sind wirklich der Überzeugung: Gerade jetzt brauchen Kinder und Jugendliche das gemeinsame Erleben mit gleichaltrigen Kindern, sie brauchen gerade jetzt Ventile und positive Erlebnisse, um mit der angespannten Situation zurecht zu kommen. Lasst die Jungen Theater offen.

DK

Die Fragen stellte Anja Witzke.