Ingolstadt
Lagerleben auf der Industriebrache

Während die rumänischen Bettler am Gießereigelände immer mehr werden, lässt die Stadt sie gewähren

04.04.2012 | Stand 03.12.2020, 1:38 Uhr

Verlassen präsentiert sich tagsüber das Zeltlager am Gießereigelände. Dann sind die Bewohner beim Betteln. Nach Schätzung der Polizei leben derzeit rund 80 Männer, Frauen und Kinder hier - Foto: Rössle

Ingolstadt (DK) Es sind mittlerweile rund 80 Leute, die auf dem Gießereigelände in einem wilden Zeltlager leben. Anlieger haben mehrfach bei Polizei und Stadt angerufen, doch die Behörden sind machtlos. „Dieses Problem werden wir auf kommunaler Ebene nicht lösen können“, sagt Stadtsprecher Gerd Treffer.

Ein Nachbar hat zuletzt 26 Zelte in dem kleinen Wald beim Kavalier Dallwigk gezählt. In jedem leben zwei bis drei Menschen, Frauen wie Männer und auch Kinder. Sie gehören zu einer rumänischen Bettlergruppe, die in wechselnder Besetzung immer wieder in Ingolstadt auftaucht. Das Lagerleben hat bereits deutliche Spuren hinterlassen. Überall liegt Müll herum, die Gruppe verrichtet ihre Notdurft irgendwo zwischen den Bäumen, oft ganz ungeniert vor den Augen der Anwohner. Zur optischen Verschmutzung kommt also mit den steigenden Temperaturen die Geruchsbelästigung. „Das stinkt zum Himmel“, meint eine Frau aus der Frühlingstraße.

Die Polizei war schon wiederholt vor Ort. „Wir können aber nichts tun. Das Gelände ist im Eigentum der Stadt, und solange keine Straftaten von der Gruppe ausgehen, gibt es für uns keinerlei Handhabe“, erklärt Cölestin Weigert von der Inspektion an der Esplanade. „Wenn die Stadtverwaltung die Räumung durchsetzen will, leisten wir aber Amtshilfe.“

Doch die Kommune duldet den Zustand, obwohl es Anfang März, als die ersten Bettler nach dem Winter zurückkehrten, noch anders geheißen hatte. Den Grund erläutert Gerd Treffer: „Wenn wir diesen Leuten einen Platzverweis erteilen, verschieben wir das Problem nur. Sie verlegen ihr Lager dann halt an eine andere Stelle in der Stadt“. Treffer weiß, wovon er spricht. Voriges Jahr hatten die Bettler sich schon einmal auf dem Gießereigelände niedergelassen. Als die Stadt sie weiter schickte, zog die Gruppe an die Gerhart-Hauptmann-Straße um. Berge von Müll sammelten sich an, Eltern wollten ihre Kinder nicht mehr zum Spielen dorthin lassen, und Spaziergänger ärgerten sich über schlimm riechende Hinterlassenschaften. Nach einem Platzverweis dauerte es Tage, bis der Unrat beseitigt war.

Solche Zustände möchte die Verwaltung nicht wieder herausfordern. So lässt sie die Bettler auf dem Gießereigelände vorerst weiter gewähren. Nicht nur die Anlieger sind betroffen. Eine Gruppe Rehe, die schon lange in dem Gehölz mitten in der Stadt lebt, läuft verstört immer wieder von einem Ende des Areals zum anderen. „Mit dem Fortschritt der Bauarbeiten wird sich das Problem dort wohl erledigen“, hofft Stadtsprecher Treffer. Eine Lösung sei nur möglich, „wenn Behörden über Ländergrenzen hinweg kooperieren.“ Der Vorschlag aus der Nachbarschaft, wenigstens Mobiltoiletten aufzustellen, um die hygienischen Zustände zu verbessern, stößt in der Verwaltung auf keine Zustimmung: „Damit würden wir nur noch mehr Leute anziehen“, glaubt Gerd Treffer.

Die Bettler im Schatten des Kavaliers Dallwigk sind nicht alle dieselben, die in der Fußgängerzone die Hand aufhalten. Einige werden jeden Morgen kurz vor 9 Uhr mit Transportern abgeholt und zum Bahnhof gebracht, um per Bayernticket zur „Arbeit“ nach Augsburg, München oder Regensburg zu fahren. Da sie meist nicht „aggressiv betteln“, also nicht aktiv auf Passanten zugehen und Geld fordern, kann die Polizei wenig machen. „Mitunter ist das in Ingolstadt aber schon vorgekommen“, sagt Sprecher Cölestin Weigert.