Lässt sich das Handy knacken?

Verschlüsseltes Mobiltelefon bremst Prozess um Mordversuch in Ingolstadt weiter aus

06.03.2020 | Stand 23.09.2023, 11:05 Uhr
Symbolbild Gericht −Foto: Schanz

Ingolstadt - Die zwei Angeklagten waren am Freitag brav zur Verhandlung erschienen, zum mittlerweile 31. Prozesstag.

 

Angesichts der Schwere des Vorwurfs - es geht immerhin um versuchten Mord in einer Ingolstädter Tiefgarage - erscheint es durchaus ungewöhnlich, dass sich die 47 und 57 Jahre alten Männer, beide in Würzburg daheim, überhaupt auf freiem Fuß befinden. Aber sie halten sich an die "Spielregeln", nachdem die Große Strafkammer am Landgericht Ingolstadt unter Vorsitz von Jochen Bösl die Haftbefehle gegen sie aus Gründen der Verhältnismäßigkeit im Dezember nach 20 Monaten U-Haft gegen Auflagen außer Vollzug gesetzt hatte. Die Männer beteuern ihre Unschuld. Am Freitag ging es einmal mehr darum, ob die hinterhältige Attacke auf einen griechischen Gastwirt aus dem Ingolstädter Nordwesten nicht doch einen anderen Hintergrund haben kann.

Ein kurzer Rückblick scheint bei der Dauer des am 3. Mai begonnenen Verfahrens durchaus angebracht: Dem aus Armenien stammenden 47-Jährigen mit deutschem Pass und dem zehn Jahre älteren Mitangeklagten, einem Kasachen, wird vorgeworfen, einen heute 43-jährigen Wirt am 18. März 2018 in der Tiefgarage vor dessen Wohnung abgepasst und ihn angegriffen zu haben. Der Jüngere soll zugeschlagen, der Ältere mit einem Acht-Millimeter-Revolver auf den Griechen gefeuert haben. Die vier Schüsse trafen das Opfer in Kopf, Schulter und Arm. Der Mann überlebte aber und konnte flüchten.

Die Angeklagten bestreiten die Tat, und tatsächlich hatte der 43-Jährige zunächst einen Ukrainer - einen Gast, mit dem er einmal "Stress" hatte - als Angreifer genannt. Er sei sich dessen zu "1000 Prozent sicher". Der Beschuldigte konnte aber ein Alibi vorweisen, wenn auch ein wackeliges. Letztlich waren die beiden in Würzburg lebenden Angeklagten vor Gericht gelandet. Belastet werden sie durch das Ergebnis einer Funkzellenauswertung, wonach ihre Handys zur Tatzeit in Ingolstadt eingebucht waren.

Die Verteidigerriege hatte die Frage aufgeworfen, ob der heimtückische Überfall nicht von anderer Seite ausgegangen sein könnte. Denn die Polizei hatte den Neffen des Opfers im Herbst mit 1136 Gramm Marihuana im Auto erwischt, seit 16. Oktober sitzt der 24-Jährige in Untersuchungshaft. Hat der Wirt vielleicht etwas mit dessen illegalen Geschäften zu tun? Kam der Angriff aus dieser Szene heraus? Zur Klärung hatte Vorsitzender Richter Bösl den Neffen geladen, in Handschellen erschien er am Freitag samt Verteidiger am Landgericht. Nicht ganz überraschend machte der junge Mann von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch. Er wolle nur eines sagen, nämlich "dass mein Onkel nichts mit meinem Fall zu tun hat", erklärte er. Das war's, im Hinausgehen gab er dem Onkel noch ein Zeichen, und das Gericht war nicht viel weiter als zuvor.

Ob die Aussage des 24-Jährigen der Wahrheit entspricht, könnte die Auswertung seines im Oktober sichergestellten Mobiltelefons zeigen. Gibt es darauf eventuell Korrespondenz in Form von Kurznachrichten zwischen den beiden Männern, die den Gastwirt ent- oder belasten? Das Gerät ist jedoch gesperrt und verschlüsselt, bisher scheiterten alle Versuche, an die Daten heranzukommen. Im offen zugänglichen Bereich waren einige belanglose Bilder entdeckt worden, wie sie frei im Internet herunterzuladen seien, erklärte der Staatsanwalt am Freitagvormittag. Mehr konnte er nicht dazu sagen.

Die Ermittlungsbehörde hatte Anfang Dezember in einer Verfügung mitgeteilt, eine private Firma sei mit der Entschlüsselung des Telefons beauftragt. Wegen der Kürze der vierstelligen PIN werde davon ausgegangen, dass die Zugangsdaten binnen ein bis zwei Wochen bekannt würden und die Auswertung anschließend erfolgen könne. Das Telefon war aber auch am Freitag nicht entschlüsselt. Das Gericht hatte die Staatsanwaltschaft zuvor mit Fristsetzung um eine schriftliche Auskunft über das bisherige und weitere Prozedere gebeten.

Die Strafkammer vertagte das Verfahren am Freitag also einmal mehr, die Angeklagten durften nach Hause zu ihren Familien. Fortsetzung ist am 3. April. Der jüngere hat inzwischen seine Arbeit wieder aufgenommen. Ob er und der 57-Jährige freie Männer bleiben, wird sich am 30. April zeigen. Für diesen Tag hat das Gericht die Urteilsverkündung in Aussicht gestellt - drei Tage bevor der Prozessauftakt sich erstmals jährt.

DK

Horst Richter