Ingolstadt
Ländliche Idylle, technische Visionen

Die Sonderausstellung "Utopie Landwirtschaft" im Bauerngerätemuseum zeigt erstaunliche Entwürfe

09.09.2018 | Stand 23.09.2023, 4:01 Uhr
Das Land, wo Milch und Honig fließen: So stellten sich die Aufklärer im 18. Jahrhundert ihre Vision einer utopischen Landwirtschaft vor. Museumsleiter Max Böhm blättert in dem äußerst informativen Katalog zur Ausstellung. Sehr humorvoll geht der Künstler Thomas Neumaier in seinen skurril-fantastischen Objekten mit der technischen Seite einer utopischen Landwirtschaft um. −Foto: Hammer, Pehl

Ingolstadt (DK) Erfolgs- und Irrwege der Landwirtschaft in den vergangenen 200 Jahren werden jetzt im Hundszeller Bauerngerätemuseum in einer Ausstellung skizziert, bei der auch die künstlerische Abstraktion nicht zu kurz kommt. Wer mag, kann auch höchst alternative Nahrungsangebote verkosten.

Angewidert verzieht Manfred Schumann den Mund. Geröstete Mehlwürmer? "Na, des iss i ned." Doch nachdem der Verfasser dieser Zeilen nochmal in den Teller mit den braunen, wurmähnlichen Tierchen gegriffen hat und mit Begeisterung darauf herumkaut, lässt sich auch der langgediente SPD-Stadtrat breitschlagen und probiert einen gerösteten, nussig schmeckenden Mehlwurm. Seine Miene spricht Bände...

Mehlwürmer sind in der Tat nicht jedermanns Sache - zumindest in Europa. Die Heuschrecken waren es bei der Ausstellungseröffnung übrigens noch weniger. Die sind in der Tat ein wenig scharf und der Panzer und die Flügel ziemlich hart. Doch beide Tierarten sind Teil der Ausstellung "Utopie Landwirtschaft", die noch bis Ende Oktober im Bauerngerätmuseum in Hundszell zu sehen ist. Denn die einfach zu produzierenden, proteinreichen Snacks sind auf anderen Erdteilen ein selbstverständlicher Teil der Nahrung - und vielleicht ein Weg, um das Ernährungsproblem einer auf bald zehn Milliarden Menschen ansteigenden Weltbevölkerung zu lösen.

Sie sind aber nur ein Teil einer ungemein facettenreichen Ausstellung, ein Gemeinschaftswerk eines halbes Dutzends Landwirtschafts- und Freilichtmuseen, die jetzt in Hundszell Premiere feierte und später auf Wanderschaft gehen soll. Der stellvertretende Kulturreferent Maro Karmann lobte bei der Eröffnung die gelungene Realisierung eines nicht ganz einfachen Vorhabens, wie auch Museumsleiter Max Böhm einräumte, der die Idee dazu vor Jahren entwickelt hat. Er freut sich vor allem über die Zusammenarbeit der Museen und deren Bereitschaft, Objekte als Leihgaben zur Verfügung zu stellen.

Denn das war eine der größten Schwierigkeiten: abstrakte utopische Ideen den Besuchern gegenständlich vor Augen zu führen. Gleichsam als "Ausgleich" dazu steht das gestalterische Konzept von Thomas Neumaier. "Kunst ist der Versuch, aus Lösungen wieder Probleme zu machen", formulierte er mit den Worten von Karl Kraus. Als Künstler wolle er einen neuen Bezugsrahmen schaffen und andere Blickrichtungen. Die Gesellschaft brauche Gegenmodelle zur Wirklichkeit, sonst sei die Folge der Stillstand. Doch Neumaier warnte auch vor den Gefahren.

"Die Objekte von Thomas Neumaier geben der Ausstellung eine neue Dimension", erklärte Birgit Angerer. Denn die Landwirtschaft sei ein schwieriges Thema, die Utopie noch mehr, so die stellvertretende Leiterin des Freilandmuseums Oberpfalz. Max Böhms Ansatz biete einen spannenden Zugang und sehr viel Fachwissen, während Neumaier für die witzige Vermittlung sorge. Dabei sei gerade derzeit das Thema Utopien wieder im Trend und die Landwirtschaft in aller Munde - Stichwort Insektensterben oder Klimawandel.

Die Ausstellung selbst beginnt nun keineswegs bei Adam und Eva, was den Rahmen völlig sprengen würde, sondern zeige die Ideen der vergangenen 200 Jahre seit der Aufklärung und was daraus wurde. Sie erkläre aber nicht, was eine Utopie (auf Deutsch: Nirgendheim) eigentlich ist. Für den deutschen Philosophen Ernst Bloch war es "der Umbau der Welt in Heimat", so Angerer am Schluss ihrer Ausführungen.

Doch was ist nun in der Ausstellung zu sehen? Da sind zum einen die vor Fantasie überbordenden Objekte von Thomas Neumaier. die förmlich ins Auge springen. Gleich am Eingang der Hubschrauber-Bulldog. Oder das windgetriebene Butterfass und mehr. Als absurde Verfremdungen alltäglicher Gegenstände, als nicht realisierte Erfindungen in der Landwirtschaft, spiegeln sie die Möglichkeiten des Erfinders und sind eine Spielwiese assoziativen Denkens.

Die Ausstellung selbst umreißt die aufklärerischen landwirtschaftlichen Utopien eines Arkadiens, wo Milch und Honig fließen, aber auch die zeitgenössischen Karikaturen darüber - und die rasante Entwicklung der Landwirtschaft, die so manche Idee überholte. Dachten die Aufklärer im 18. Jahrhundert noch, eine von Vernunft und Verstand gelenkte Gesellschaft verheiße Glück und Wohlstand für alle, war es im 19. Jahrhundert der Glaube an den technischen Fortschritt, der alle Probleme lösen sollte.

Manche Idee, wie etwa Ackerbau mittels Stromleitungen, erwies sich als undurchführbar, einige, wie die Trockenlegung des Mittelmeeres zur Landgewinnung für den Ackerbau (Atlantropa) als illusorisch, andere, wie die Kollektivierung der Landwirtschaft in der Sowjetunion, als katastrophal.

Mittels Bildern, Schautafeln, Modellen, alten Gerätschaften oder Filmen werden nicht nur gesellschaftliche und soziale Utopien vermittelt, sondern auch gewagte technische Entwürfe vorgestellt, wie riesige Dampfpflüge zur Moorkultivierung oder die Nutzung der Atomenergie zur Hühnerzucht und dergleichen mehr.

Doch nicht selten ging die Technik völlig neue Wege. Kühe, die selbstständig in die Melkanlage gehen, Feldroboter, die per Satellitennavigation ohne menschliches Zutun zentimergenau mähen, oder Nahrung aus Algen und Insekten - davon hätten die Utopisten früherer Zeiten nicht einmal zu träumen gewagt.

Bernhard Pehl