"Ladies, lasst es krachen!"

01.02.2008 | Stand 03.12.2020, 6:10 Uhr

Girls just wanna have fun: Bis nachts um halb eins legte Claudia Roth am Unsinnigen Donnerstag beim Weiberfasching im Ingolstädter Byblos ihre ganz persönlichen Hits auf. Das jugendliche Publikum lobte die Lockerheit der Parteivorsitzenden. - Foto: Rössle

Ingolstadt (DK) Wer ihr zu nahe kommt, wird gleich geherzt. Übermütig, die Hände in der Höhe, hüpft Claudia Roth am DJ-Pult entlang, lässt die Hüften kreisen, winkt, trällert, jubelt, tänzelt, erst dezent, bald enthemmt.

"Ladies, lasst es krachen!"

Die Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen ist mit ihren 50 Lieblingsliedern nach Ingolstadt gekommen, um dem "Grünen Weiberfasching" ihrer Parteifreunde in der Diskothek Byblos Schwung zu verleihen. Aber natürlich nicht als DJ, sondern als DJane, wie man weibliche Discjockeys politisch korrekt nennt. Doch die Politik opfert Claudia Roth in dieser Nacht für drei Stunden ganz dem Pop.

Zwanglos bietet sie das volle Rockstar-Repertoire an Gestik und Animationskunst auf: Mikrofon in die Menge richten. "Ladies, lasst es krachen!" Ausfallschritt links, dann rechts. "I love you, Ingolstadt!" Rhythmisches Kopfschütteln, während die "Weather Girls" durch die Boxen wummern. "It’s Raining Men!" Die 52-jährige Schwäbin beherrscht auch das Musikabdrehen im passenden Moment und bringt schmissige Refrains mit Inbrunst selber dar: "Sag’ mir quando, sag’ mir wann." Oder: "Tanze Samba mit mir." Und besonders fidel: "Girls Just Wanna Have Fun." Immerhin: Die Luftgitarre erspart sie sich und dem Publikum.

Das ist jung, fröhlich und offenbart beim Mitgrölen uralter Hits eine erstaunliche (oder im Fall von "Ich will ’nen Cowboy als Mann" auch erschreckende) Textsicherheit. Nur bei "Eternal Flame", einem der schaurigsten Schieber der Musikgeschichte, läuft Roths Unterhaltungskunst ("Mädels, macht eure Herzen auf!") ins Leere. Sie will Feuerzeuge sehen. Allerdings glimmt es nur vereinzelt im Halbdunkel; die Raucher stehen alle draußen vor der Tür.

"Die ist richtig cool"

Drinnen gerät der Weiberfasching in Wallung. Minni ist 42, ein Engel und eigens "wegen der Claudia" gekommen. "Die ist toll! Wir sind ja eine Generation." Auch Jüngere finden die Grüne mehrheitsfähig. "Die ist richtig cool – vor allem für ihr Alter", sagt die 18-jährige Piratenbraut Christina. Renate aus Bollywood kannte Roth zuvor nur dem Namen nach und lobt den Musikgeschmack der wirbelnden DJane: Ebenso Tanja mit der roten Nase: "Ich glaub’, die Claudia hat an Spaß."

Es ist kein wählerorientierter Showtanz, den die Grünen-Chefin im Byblos vorführt; sie lässt sich – wie sie es wohl selber formulieren würde – total authentisch mitreißen. Roth kommt gut rüber. Man stelle sich andere Parteivorsitzende, etwa Guido Westerwelle und Erwin Huber, hüpfend in der Disco vor – oder besser nicht.

Roth ist vom Fach. Gerne erzählt sie davon, wie sie Anfang der 80er die Gruppe Ton Steine Scherben – einst Lieblingsband der Anarcho-Szene – und deren schwierigen Sänger Rio Reiser betreute. Den Begriff Managerin, das hat sie zuvor einigen Parteifreundinnen verraten, mag sie nicht, "weil der so hardcorekapitalistisch ist".

Rio Reiser, der nach einer unter Anarchisten umstrittenen Zweitkarriere als Schlagerstar 1996 gestorben ist, krönt den Auftritt von DJane Claudia. "Ein Lied vom allerallergrößten Sänger der Welt!" Dann läuft Reisers "Für immer und Dich", sicher zum ersten und womöglich auch zum letzten Mal im Byblos. Auf der Tanzfläche klaffen jetzt Lücken. Aber Claudia Roth, die sich mit verliebtem Blick sanft im Takt wiegt, hat es vermutlich gar nicht bemerkt.