Eichstätt
"Kurzschlüssig"

Christian Bachmann über das Wiener Satireblatt "Kikeriki"

04.02.2019 | Stand 02.12.2020, 14:42 Uhr
Erfrischend: die Sprache von Christian Bachmann. −Foto: Buckl

Eichstätt (buk) Der Wiener Bürgermeister Karl Lueger (1844-1910) tauchte schon vor drei Wochen bei Referentin Alma Hannig am Rand eines Wintervortrags auf.

Vorigen Donnerstag rückte Lueger nun in das Zentrum eines Wintervortrags. Hier war Christian Bachmann zu hören, der in Bochum Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft lehrt. Sein Thema lautete: "Der Wiener Kikeriki und die Causa Karl Lueger. Visuelle und mechanische Satire im Dienst des antisemitischen Populismus. "

Dass sich der junge Wissenschaftler (Bachmann wurde 1982 geboren) mit Journalliteratur und Comics befasst, färbt sich wohltuend nicht nur auf Titel seiner Publikationen (etwa "Von Masken und Mäusen") ab, sondern auch auf seine erquickend saloppe Sprache, mit der er diesen Vortrag bestritt, worin er keine Scheu auch vor unappetitlicher Sprache zeigte ("Das ist wie Scheiße am Schuh, wenn ich das so sagen darf?").

Er leitete seine Ausführungen mit einem Überblick über die frühen Satire-Zeitschriften ein, die seit den 1830-er-Jahren in Europas Zentren auftauchten - etwa den Londoner "Figaro", die "Fliegenden Blätter" in München - oder eben den Wiener "Kikeriki", der Auflagen bis zu 25000 Exemplare erzielte und als Maskottchen einen Hahn in der Vignette trug. Seine politische Ausrichtung war zunächst liberal, später schlossen sich die Macher den Antisemiten an - wie auch Karl Lueger einer war, der 1870 als Jurist promovierte, 1875 Wiener Gemeinderat und 1895 Vize-Bürgermeister wurde.

Seine Wahl zum Bürgermeister wollte Kaiser Franz Joseph (Bachmann: "Sie wissen schon - der Ehemann von Romy Schneider?") zunächst nicht bestätigen; erst auf Fürsprache von Papst Leo XIII. kam dies zustande: Am 7. April 1897 bestätigte "seine k. u. k. Apostolische Majestät" Luegers Wahl zum Ersten Bürgermeister.

Im"Kikeriki" war Lueger das erste Mal bereits 1876 erwähnt worden - mit negativem Unterton. "Davon konnte in den 1890-er-Jahren keine Rede mehr sein", so der Referent. Nun war der "Kikeriki" zu Luegers Sprachrohr geworden. Während Lueger den Antisemitismus im Wahlkampf instrumentalisierte, brachte auch der "Kikeriki" antisemitische Klischees in seinen Karikaturen, etwa von galizischen Stadtjuden, die sich in Wien ansiedelten, oder auch von judenliberalen Intellektuellen und Journalisten, wozu auch die jüdische Hochfinanz zählte.

Daran schloss der Referent allgemeinere Reflexionen über das Wesen von Satire an, die weder Standpunkte erschöpfend reflektieren noch ernst zu nehmende Lösungen anbieten wolle, sondern Aufmerksamkeit erwecken und zuspitzen möchte. So erschien 1895 im "Kikeriki" eine Karikatur vom menschenfressenden Bankier.

Perfide Propaganda funktioniere, weil sie "kurzschlüssig" sei. In dem Bild des genannten Bankiers habe sich unschwer der Judenliberale Johann von Chlumecky (1834-1924) als Vorlage für den Kannibalen erkennen lassen. Lueger werde im "Kikeriki" hymnisch besungen, sogar mit Dornenkrone und Gloriole dargestellt, oder als Ritter, der die von einem Lindwurm bedrohte Vindobona, die Allegorie der Stadt Wien, vor dem Drachen rette, während Juden zunehmend aggressiver verunglimpft werden.

Den Abschluss der Reihe bildet am Donnerstag, 7. Februar, die Komparatistin Stephanie Heimgartner, ebenfalls von der Ruhr-Universität Bochum, mit einem Vortrag über "Runde Göttinnen: Affektiver Populismus und die Inszenierung des mütterlichen Körpers".