"Kunst muss aufrütteln"

Skandale und ihre Bedeutung für Künstler und die Gesellschaft waren Thema der Podiumsdiskussion des DONAUKURIER und der Alf-Lechner-Stiftung. Einig war man sich, einer Zensur von rechten Kräften klar begegnen zu müssen. <DK-Autor></DK-Autor> <?MAK TagName="Uni" Vorschub="16dp" SchriftStil="0" SchriftGroesse="8,4dp" EinzugAbsatz="0ru" SchriftArt="ITC Franklin Gothic Book"> Von Katrin Fehr<?_MAK> <?ZE>

19.04.2019 | Stand 02.12.2020, 14:09 Uhr
Über das Thema Kunst und Skandal haben Ludwig Mödl, Isabella Kreim, Robert Maximilian Helmschrott und Steffen Kopetzky (von links) diskutiert. Moderiert wurde die Veranstaltung im Alf-Lechner-Museum in Ingolstadt von Jesko Schulze-Reimpell, Leiter der Kulturredaktion unserer Zeitung (Mitte). −Foto: Eberl

Skandale und ihre Bedeutung für Künstler und die Gesellschaft waren Thema der Podiumsdiskussion des DONAUKURIER und der Alf-Lechner-Stiftung. Einig war man sich, einer Zensur von rechten Kräften klar begegnen zu müssen.

Ingolstadt (DK) Nein, niemand regt sich hier über einen Kunstskandal auf. Keinem der Teilnehmer auf dem Podium im Alf-Lechner-Museum in Ingolstadt fällt außerdem ein Tabubruch ein, der ihn - pauschal gesagt - tatsächlich aus der Façon bringen könnte. Im Gegenteil. Man ist sich einig: Künstler sind so wichtig wie Skandale notwendig und bewusstseinserweiternd sein können, auch wenn, wie die Kulturjournalistin Isabella Kreim sagt, "ein Skandal noch nicht die Qualität eines Kunstwerks ausmacht". Für den katholischen Theologen Ludwig Mödl aus Eichstätt impliziert die Rolle des Künstlers auch die Provokation. "Künstler müssen auf Dinge aufmerksam machen, die in der Gesellschaft, in der Welt, im Argen liegen, die sie intuitiv und vor anderen erkennen." Und der Komponist Robert Maximilian Helmschrott stellt klar: "Wir Künstler sind auch dazu aufgefordert, für einen Eklat zu sorgen."
"Kunst und Skandal" war das Thema der vierten Podiumsdiskussion im Rahmen der Reihe Stadtidentität, die die Alf-Lechner-Stiftung und der DONAUKURIER gemeinsam veranstaltet haben. Passend zur aktuellen Ausstellung im Lechner-Museum von Hermann Nitsch. Viel Rot, viel Blut an den Wänden. Der österreichische Künstler hat immer wieder mit seinen provokanten und grenzüberschreitenden Aktionen, etwa seinem Orgien-Mysterien-Theater, für Furore gesorgt. Nun also Talk im Museum zu diesem sich durch die Jahrhunderte ziehendem Thema unter der Moderation des Leiters der DK-Kulturredaktion, Jesko Schulze-Reimpell, und inhaltlich vorbereitet von Claudia Borgmann.

Es ging in der angeregten Diskussion um die Rolle des Künstlers, die Autonomie des Kunstwerks. Es ging um Karlheinz Stockhausen und Vladimir Nabokovs "Lolita", um die Qualität von Kunst. Themen waren Verantwortung und Zensur. Komponist Helmschrott hat selbst einen Skandal erlebt, als die Aufführung des Auftragswerks "Salamu" im Ingolstädter Münster vergangenen Jahres von Münsterpfarrer Bernhard Oswald und dem Verein Freunde der Musik am Münster kurz vor dem Konzert abgesagt wurde. Durch ein Interview im DONAUKURIER war bekannt geworden, dass im Rahmen des Konzerts auch ein Gedicht von Friedrich Ani vorgelesen werden sollte, in dem Bundesinnenminster Horst Seehofer (CSU) für seine Flüchtlingspolitik kritisiert wird. Helmschrott verteidigte sein Werk und das Vorhaben an diesem Abend im Museum erneut. "Das ist kein Skandalstück, sondern ein Stück für den Frieden." Warum es nicht zur Aufführung gekommen sei, kann der Komponist und ehemalige Präsident der Hochschule für Musik und Theater München bis heute noch nicht verstehen. Seiner Meinung nach müsse die Kirche auch eine politische Debatte aushalten. "Kirchen sind nicht nur Sakralraum, sondern auch Kommunikationsort." Und in diesem speziellen Fall habe es eine Welle der Empörung über die Äußerungen Seehofers und des bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder gegeben.
Inzwischen habe sich der Münsterpfarrer entschuldigt, so Helmschrott. Ludwig Mödl, der in die Causa nicht involviert war, bestätigte aber, dass es keinesfalls um die Musik, sondern um die Ankündigung, das Gedicht vorzulesen gegangen sei. Dabei schloss Mödl die Kirche als Debattenort für "politische Grundfragen" nicht aus, für Themen aktuelle Politik jedoch durchaus. Der Schriftsteller Steffen Kopetzky gab zu bedenken, dass "alte" Institutionen einer Transformation gegenüber stünden und demnach "auch Stimmen und Meinungen, die ungewohnt" seien, hineinnehmen sollten.
Mödl war hier jedoch der falsche Ansprechpartner, denn der emeritierte Professor für Pastoraltheologie und Vorsitzende des Münchner Vereins für Christliche Kunst überzeugte mit Weitblick, Toleranz und Gelassenheit. "Es ist Auftrag der Kirche, im Dialog zu sein über gesellschaftkritische und wichtige Fragen, auch Skandale auszuhalten und zusammenzuführen." Er erinnerte sich an sein erstes Erlebnis mit der Kunst von Hermann Nitsch 1971 in München, als dieser ein Schwein geschlachtet und mit Blut um sich spritzte. Vielen galt er als "Spinner", erinnert sich Mödl. "Aber das stimmte nicht." Nitsch habe, auf Tabus hingewiesen, auf die Opfer-Theologie, auf die Themen Sterben, Blut, Opfer. "Nitsch hat das Sensitivum des Ekels entdeckt, das zu neuer Erkenntnis führen konnte."
Ganz nebenbei berichtete der 1938 in Ingolstadt geborene Theologe von einem eigenen "Skandälchen". Als Regens des Eichstätter Priesterseminars, das er von 1971 bis 1987 leitete, hatte er dort gemeinsam mit dem Theater Ingolstadt die Aufführung des Stücks "Die Antrittsrede der amerikanischen Päpstin" von Esther Vilar möglich gemacht, was dem damaligen Bischof Alois Brems mehr als hundert Beschwerdebriefe einbrachte. "Ich war naiv, aber auch stolz darauf", erinnerte sich Mödl schmunzelnd.
Einen weitreichenden Gedanken brachte Steffen Kopetzky ins Gespräch. Der Skandal als Überlebensstrategie für Künstler. Besser einen Skandal und 5000 Bücher mehr verkauft als keinen Skandal und keine Bücher verkauft, formulierte der Autor ("Risiko"), der in Pfaffenhofen lebt, überspitzt seine These. Denn letztlich, so Kopetzky, der auch Stadtrat und Vorsitzender des Neuen Pfaffenhofener Kunstvereins ist, "leiden Kunst, Film, Literatur und Musik in den vergangenen Jahren nicht unter Skandalen, sondern unter einem massiven Bedeutungsverlust". Kunst und Kultur seien gar bedroht, wenn man die Entwicklungen von Spotify und Amazon beobachte, die irgendwann Musik oder Literatur vertreiben, die ein Algorithmus nach den Vorlieben der Konsumenten und Verbraucher komponiert oder geschrieben hat, so Kopetzky. "Die Gesellschaft braucht aber den Künstler, den Skandal, die Diskussion und die Energie, die daraus entstehen. Man muss sich Sorgen machen, wenn Künster nicht mehr aufregen." Ein Meister des komponierten und inszenierten Skandals ist ihm der französische Schriftsteller Michel Houellebecq, der mit messerscharfer Analyse, Präzision und Logik den Leser packe. Unverständnis äußerte Kopetzky über die Aufregung über zwei abgehängte Bilder von Emil Nolde im Kanzleramt. "Dessen antisemitische Haltung ist ein wichtiges Thema, sicherlich", sagte Kopetzky. "Aber wo bleibt bitte der Aufschrei, die Debatte über Umweltzerstörung, Waffenexporte, Betrug der Automobilindustrie, Verschwendung und Maßlosigkeit?" Das seien doch virulente Themen. "Kunst muss genau diese Zusammenhänge aufzeigen und aufrütteln."
Die Gefahr von "Verschleißerscheinung" bei Skandalen thematisierte Isabella Kreim. Vor allem über läppische Ausrutscher würden Diskussionen in den sozialen Netzwerken geführt. Menschen, wirklich zu packen, sei zunehmend schwieriger geworden, bedauerte sie, aber sei doch wichtig. "Künstler müssen den Finger in die Wunde legen."
Der eigentliche Skandal ist der promovierten Theaterwissenschaftlerin und Leiterin des Kulturkanals Ingolstadt aber die Zensur. Etwa die "leichte Hysterie" bei der neuen Form des Feminismus. Ein Beispiel hierfür sei die absurde Debatte über das 1951 verfasste Gedicht "Avenidas" von Eugen Gomringer an der Fassade der Alice-Salomon-Hochschule in Berlin, das tatsächlich übermalt wurde, weil es - so die Begründung der Studierenden - eine klassische patriarchale Kunsttradition reproduziere und an sexuelle Belästigung der Frauen erinnere. Erschreckend sei jedoch vor allem, so Kreim mit Verweis auf die im Grundgesetz festgeschriebene Kunstfreiheit, dass vermehrt populistische Kräfte vorschreiben wollten, "was wir wo von wem zu sehen haben, was Kunst sein soll". Kreim: "Das ist skandalös und nicht hinnehmbar."