München
Kunst-Honig vom Feinsten

Auf dem Dach der Neuen Pinakothek in München arbeiten neuerdings 110 000 fleißige Bienen

10.07.2013 | Stand 02.12.2020, 23:55 Uhr

München (DK) Man kann ja als Kulturgeschichtler fast alles wissenschaftlich hinterfragen, und so gibt es natürlich auch längst eine Arbeit zum Thema „Insekten in der bildenden Kunst“. Diese erschien in den 70er Jahren, benötigt aber jetzt dringend ein Ergänzungskapitel: Bienen auf Museen!

Die Initiative „Deutschland summt“, die seit 2010 der Honigbiene eine Lobby und neue Tätigkeitsfelder in der Stadt bietet, hat inzwischen vier Ableger gebildet: in Hamburg, Berlin, Frankfurt und München. In der Landeshauptstadt brummt und summt es bereits im Garten der Seidlvilla, auf dem Haus für Architektur und auf dem Gasteig. Seit diesem Frühjahr steht nun die Hobby-Imkerin Sandra Seefeld (28) mindestens einmal wöchentlich auch auf dem Dach der Neuen Pinakothek und kümmert sich dort um ihre beiden Völker.

Hier entsteht also „echter Kunst-Honig“ – aber da würde die Imkerin jetzt mit Recht protestieren, dieses Wort ist ja schon mit dem Kriegs-Ersatzprodukt aus Invertzuckermasse belegt. Sandra Seefelds Honig ist Qualitätshonig und routiniert kann sie alle ökologischen Bedenken ausräumen: Ihre Bienenvölker hat sie von einem Bio-Imker gekauft, für jeweils stolze einhundertfünfzig Euro. Gesund und kräftig sind ihre Völker, so dass sie schon angefangen hat, sie aufzuteilen und bald also vier Bienenstöcke hier auf dem Dach pflegen will.

Die fleißigen Insekten fliegen nur ganz frisch erblühte Blütenkelche an, bei welchen noch keine Feinstaub-Belastung besteht – und auch die lebensmittelchemischen Untersuchungen belegen, dass Stadthonig in der Qualität einem Landhonig in nichts nachsteht. Im Gegenteil: Er zeichnet sich durch außerordentliche Vielfalt in seinen Nektarquellen aus. Vielfalt? Man blickt sich zweifelnd um auf der kargen Dachlandschaft, die man nur über eine stets verschlossene Brandschutztüre erreicht. Aber Seefeld weist in die blühenden Linden und zu den Kastanien, die reichlich im Museumsquartier zu finden sind und beteuert, dass ihre Bienen sich hier im Schlaraffenland befinden: „Die fallen ja fast rein in die Blüten!“ Kurze Wege sind natürlich ein echter Standortfaktor auch für diese Stadtbewohner – muss doch eine einzelne Biene ungefähr dreimal um die Erde fliegen um ein Pfund Honig zu sammeln. Aber glücklicherweise hilft ihr ja ein ganzes Volk dabei.

Sandra Seefeld, in der Lausitz geboren, hat schon immer davon geträumt, zu imkern – hatte aber lange nicht den Gedanken, dass sich dieser Wunsch auch in der Großstadt erfüllen lassen würde. Aber letztlich ging es dann ganz einfach: Sie imkert erst seit einem Jahr, aber als sie bei den Pinakotheken nach der Dachnutzung fragte, war diese umstandslos zur Kooperation bereit. Es ist ja auch schade, dass das riesige Dachgelände des Branca-Baus aus dem Jahr 1981 einfach so leer herumliegt in der hippen Maxvorstadt, wo jeder Hinterhof einer Galerie, jede Toreinfahrt einem Straßencafé Platz bietet. Dass Wohnraum knapp ist in der Großstadt, macht den Bienen auch nichts aus – sie haben reichlich Platz auf dem Dach, sitzen aber auch gerne dicht gedrängt in den Waben.

Der Standortfaktor „Kultur“ ist aber den fleißigen Immen womöglich so egal wie eine Prilblume. Dabei gäbe es einige interessante Bildungsreisen für sie in die nahegelegenen Museen zu unternehmen – in den Depots der Pinakothek der Moderne lagern gleich mehrere Werke des in Honig und Filz verliebten Joseph Beuys, unter anderem eine Lithografie auf Karton mit dem schönen Titel „Aus dem Leben der Bienen“. Er wäre wohl sowieso der Lieblingskünstler der Bienen, hat er sich doch für die Aktion „Wie man dem toten Hasen die Bilder erklärt“ einst den Kopf vollständig mit Blattgold, Goldstaub und Honig bedeckt. Von bronzenen Honigeimern bis zu seiner Installation „Honigpumpe am Arbeitsplatz“ korrespondiert sein Werk immer wieder mit ihrem fleißigen Sammeln. Aber auch das 1944 entstandene Ölgemälde des surrealistischen Malers Salvador Dalí mit dem aussagekräftigen Titel „Traum, verursacht durch den Flug einer Biene um einen Granatapfel, eine Sekunde vor dem Aufwachen“ könnte Bienen gefallen – nur hängt das leider weit weg im spanischen Museo Thyssen-Bornemisza. Vielleicht sind Bienen aber auch viel traditioneller in ihrem Kunstverständnis und würden am liebsten direkt in die Alte Pinakothek steuern, wo sie auf dem Suchbild von Peter Paul Rubens und Jan Brueghel „Madonna im Blumenkranz“ eine Menge Insekten entdecken könnten – im Familienporträt sozusagen.

Demnächst will Seefeld auch an die Ernte gehen und wird vorsichtig die Waben entnehmen und schleudern. Der Honig soll im Museumshop verkauft werden – etwa siebzig Gläser dürften schon dieses Jahr herauskommen, schätzt Seefeld. Ihre Mädels bekommen dann noch eine kleine Kur gegen im Herbst vermehrt auftretende Schädlinge und den Invertzucker – eben Kunsthonig! – als Winternahrung, aber auch von ihrem Honig wird die Imkerin ihnen einiges übrig lassen. Schließlich waren sie bienenfleißig bei der mäßigen Witterung dieses Jahres, und womöglich schmeckt auch ihnen der Honig besser als Zuckermasse. Die Qualität des Originals siegt eben – bei Honig wie im Museum.