München
Krimistunde für Strolchi und Esmeralda

Im Münchner Tierheim lesen Kinder in ihrer Freizeit Katzen vor Das hilft Mensch und Tier

12.04.2016 | Stand 02.12.2020, 19:58 Uhr

Foto: DK

München (DK) Ein Trend aus den USA findet Nachahmer in Bayern: Dank der Initiative "Kids4Cats" lesen im Münchner Tierheim Kinder Katzen vor - um die eigene Lesefähigkeit zu verbessern und ängstlichen Vierbeinern zu helfen, Vertrauen zu Menschen aufzubauen.

Julia will für Spannung sorgen im Katzenhaus. Die Zehnjährige setzt sich zu Strolchi auf den Boden und schlägt ihren "Die drei "-Krimi auf, den sie ins Münchner Tierheim mitgebracht hat. Langsam und ein wenig stockend liest die Viertklässlerin den Anfang des Jugendbuchs, doch die weiße Katze mit dem dunklen Schwanz interessiert sich mehr für Julias Lesezeichen und spielt damit. Nach einer Weile setzt sich Strolchi aber ruhig vor das Mädchen.

Jeden Mittwochnachmittag kommt Julia mit ihrer Schwester Laura ins Münchner Tierheim, um dort mehreren Katzen eine Stunde lang vorzulesen. Die beiden Mädchen engagieren sich für das Projekt "Kids4Cats". Ins Leben gerufen hat es vor gut zwei Jahren Ursula Mensah aus Taufkirchen bei München: Sie hatte im Internet über ehrenamtliche Katzen-Vorleser in den USA gelesen und gleich beschlossen, den Trend aufzugreifen.

"Die Idee ist: Katzen im Tierheim brauchen Zuwendung. Die Pfleger haben keine Zeit, sich einfach mal eine halbe Stunde zu den Katzen zu setzen", erklärt Mensah. "Und Kinder sollten generell mehr lesen. So schlägt man zwei Fliegen mit einer Klappe." Ängstliche Katzen können sich langsam Menschen nähern, Kinder mit Leseschwierigkeiten finden geduldige Zuhörer. "Beide haben sehr viel davon", betont Mensah.

Laut Forschern der Tufts University in den USA, die Katzen-Vorleser in Pennsylvania beobachteten, ist der Nutzen für Kinder groß: Das Programm helfe ihnen, Hemmungen zu überwinden und Spaß am Lesen zu entwickeln, sogar die Einstellung der Kinder zur Schule wandle sich zum Positiven. Einen ähnlichen pädagogischen Ansatz verfolgt seit Jahren auch das Lesehund-Konzept: Schüler mit Leseschwäche lesen in der Schule, in Büchereien oder anderen Einrichtungen einem Hund vor.

Julia ist begeisterte Fußballerin - Lesen zählt dagegen nicht zu ihren Hobbys. Dank "Kids4Cats" liest sie schon seit einem Dreivierteljahr zumindest eine Stunde pro Woche. "Die Bücher suche ich selber aus", sagt die Zehnjährige. "Meistens nehme ich spannende Bücher oder lustige." Aus Sicht ihrer Mutter, Ariane Stengl, sind diese regelmäßigen Lesestunden ihrer jüngeren Tochter ein Segen: "Das ist eine gute Sache in Zeiten des ganzen Elektronikschrotts."

Auch in den Nachbarräumen wird gelesen. Rechts von Julia und Strolchi liest der kleine Lukas dem schüchternen Kater Felix vor, auf der anderen Seite steht bei der Perserkatze Esmeralda die zwölfjährige Laura. Auch sie hat einen Krimi dabei. Sie überlege sich immer ganz genau, was den Katzen gefallen könnte, berichtet das Mädchen. Zur eher wilden Esmeralda passe "sehr gut eine Abenteuergeschichte", glaubt Laura.

Laut Mensah kommen an jedem Werktag drei bis vier Kinder zwischen 8 und 13 Jahren zum Vorlesen ins Tierheim. Nach einem etwas zähen Start werde sie mittlerweile mit Anfragen überhäuft. "Es gibt mehr Kinder, die vorlesen wollen, als wir Plätze haben", sagt sie. Trotzdem kann sie jungen Katzenfreunden Hoffnung machen: Nach der Eröffnung des neuen Katzenhauses im Tierheim könnten künftig mehr Kinder am Tag kommen. Darüber hinaus vermittelt "Kids4Cats" Vorlese-Kinder auch an das Tierheim im schwäbischen Nördlingen (Landkreis Donau-Ries). Andere bayerische Tierheime - zum Beispiel in Aschaffenburg - organisieren das in Eigenregie.

Julia hat ihr Buch inzwischen zur Seite gelegt. Strolchi mag gerade lieber spielen als den Abenteuern der drei Detektive zu lauschen. Die Zehnjährige ist dankbar für eine kurze Pause. Dann schnappt sie sich ihren Krimi und wechselt den Raum, um einer weiteren Katze vorzulesen.