Ingolstadt
Krieg führen mit anderen Mitteln

Der Pianistin Elisso Virsaladze und dem Georgischen Kammerorchester gelingt ein herausragendes Konzert

07.04.2022 | Stand 23.09.2023, 0:38 Uhr
Alter Geist, flinke Finger: Elisso Virsaladze spielt Mozart im Ingolstädter Festsaal. −Foto: Schaffer

Ingolstadt - Auf dem Programmheft steht großgeschrieben "11.11.": Vor fast einem halben Jahr hätte das Konzert des Georgischen Kammerorchesters mit der Pianistin Elisso Virsaladze stattfinden sollen.

Damals machten das Corona-Inzidenzen im Orchester unmöglich. Nun ging das Gastspiel über die Bühne - auch unter schwierigen Bedingungen, die 79-jährige georgische Pianistin musste mit komplizierten Umwegen von Moskau nach Deutschland ausreisen. Allein das zeigt: Die Weltlage hat sich geändert, sie leuchtet mit einem anderen, trüben Licht die Werke des Abends aus.

Chefdirigent Ariel Zuckermann hatte deshalb ein weiteres, sehr kurzes Stück ins Programm genommen: das "Gebet für die Ukraine" von Mykola Lysenko aus dem Jahr 1885, eigentlich ein Choral mit religiös-patriotischem Text.

Zuckermann dirigierte das etwa zweiminütige "Gebet" verhalten, als wollte er hinter der anrührenden Wirkung der Musik zurücktreten - und machte sie damit fast noch stärker. Im Mittelteil scheint die Melodie fast im Pianissimo zu verhallen, um sich dann noch pathetischer aufzubäumen, wie eine Demonstration des Überlebenswillens. Das Gebet genießt in der Ukraine große Popularität und wird regelmäßig bei Sitzungen von Stadträten gesungen. Und seit Kriegsbeginn erklingt es immer wieder in Gottesdiensten.

Eigenartig neu wirkte auch die unmittelbar danach folgende 3. Sinfonie des georgischen Komponisten Sulchan Nassidze aus dem Jahr 1969, das dem GKO gewidmet ist - eine weit konfliktreichere Musik. Ein Werk, das sich windet, Motive in den Raum wirft, abbricht, neu beginnt, scheitert, verstummt. Bis sich im Mittelteil in hektischen, maschinengewehrartigen Tremoli die angestaute Spannung dramatisch entlädt. Zuckermann dirigierte das, als wollte er Krieg führen mit anderen Mitteln, jeden Konflikt beschwörend, jeden Forteausbruch noch anstachelnd, noch gewalttätiger inszenierend. Was für ein Moment der kunstvollen Aggressivität - bis die Anspannung schwindet und sich alles in einer Art überirdischer Abendstimmung auflöst mit zwei friedlich zwitschernden Vögeln.

Auf ganz andere Art packend ging es weiter: Die große georgische Pianistin Virsaladze war nie eine Leisetreterin. Von ihrem unbändigen Furor hat sie im Alter nichts verloren, noch immer ist ihr Anschlag ungemein energisch, fest, vital. Sicher, der langsame Satz des Mozart-Klavierkonzerts KV 450 ist voller schön abgetönter, weicher Phrasierungen, die Virsaladze, die längst eine Klavierlegende ist, vollendet gestaltet. Aber die Wucht war der Schlusssatz. Was für ein tänzelnder Überschwang, was für eine mitreißende Melodienseligkeit! Man sah ihr das Vergnügen an, wenn sie in sich hinein lächelnd über die Tasten sprintete, Funken sprühen ließ, reaktionsschnell mit den Holzbläsern interagierte. So gewitzt, so voller zündender Energie kann man diesen munteren Satz fast nie erleben.

Genau in diesem Geist setzte Zuckermann den Abend fort - mit Joseph Haydns in Paris geschriebener Sinfonie "La Reine", die Königin.

Hier tat Zuckermann etwas, was er auch schon beim Mozart-Konzert hätte tun können: Er platzierte die Holzbläser nach vorne. Aber auch der Mozart hätte davon profitiert, besteht doch ein wesentlicher Reiz dieses Konzerts darin, dass sich Bläser und Klavier gegenseitig die musikalischen Bälle zuwerfen. Bei der Haydn-Sinfonie hatte die ungewöhnliche Sitzordnung andere Konsequenzen: Die Tutti-Passagen wirkten farbiger: Was für ein großartiger Effekt, wenn die Bässe einsetzen mit einem erdigen, von den Fagotten durchwobenen Klang. Und die Solopartien gewannen an Prägnanz, etwa das lange Flötensolo im dritten Satz. Aber der Spaß, den Zuckermanns Interpretation vermittelte, lag in dem gewitzten Frage-Antwort-Spiel der Motive, in der Kunst, dasselbe Thema immer wieder verblüffend anders klingen zu lassen, grimmig oder komisch, traurig oder romantisch. Wie ein Schauspieler stand er vor dem Orchester und mimte die Gemütszustände.

Am besten gerieten dabei die beiden Schlusssätze - weil Zuckermann nicht nur rasant, sondern auch ungemein locker und souverän auswendig dirigierte. Gibt es überhaupt ein Orchester heute, dass Haydn so plastisch, mit solchem Tempo, so unterhaltsam, so schauspielerisch auf die Bühne bringen kann?

DK

Jesko Schulze-Reimpell