Ingolstadt
Kreisel parterre: Das kennen wir

03.11.2010 | Stand 03.12.2020, 3:30 Uhr

Ingolstadt (hri) Er ist ein Phänomen, ein Spiegel der deutschen Autofahrerseele. Kaum ein Verkehrsweg in der Stadt spaltet die motorisierte Gesellschaft mehr als der Audi-Ring. Hier trifft der Ängstliche auf den Wagemutigen, der Forsche auf den Zauderer und der Bremser auf den Rallyefahrer.

Dabei ist dort noch alles ebenerdig. Und doch ist mancher an seinen Grenzen angelangt. Gestern, 14 Uhr, Beobachtungen vor Ort, von ganz oben, im dritten Stock des Medi-IN-Parks, von wo der Überblick gewahrt bleibt. Drunten im Kreisel offenbar weniger.

14.02 Uhr: An sechs Einmündungen reihen sich die Autos – und etliche Fahrer fürchten sich offenbar vor der eigenen Courage. Drüben, an der Neuburger Straße steht ein gutes Dutzend an, alle rechts. Der linke Streifen ist komplett frei, doch keiner benutzt ihn. Lieber geduldig dahin gezuckelt. In der Ruhe liegt die Kraft, bald haben sich alle eingefädelt.

14.10 Uhr: Ein Mann am Steuer eines weißen Mercedes steht von Friedrichshofen kommend fast zwei Minuten an der Kreiseleinfahrt und traut sich trotz Pole-Position nicht weiter. Dennoch hupt keiner. Ein Peugeot-Fahrer zieht an dem Zauderer vorbei und nimmt im Audi-Ring gleich die zweite Spur. Derweil hat sich ein Lastwagen offenbar versehentlich auf der Westparkspur eingeordnet und lenkt abrupt zurück in den Kreisel. Der Hintermann bremst stark, reagiert aber mit keinerlei Unmutsäußerungen.

14.16 Uhr: Von wegen Langweiler: Ein Rettungswagen rauscht mit Getöse von der Levelingstraße in den Ring. Er muss sich um die Vorfahrt wenig sorgen, auch nicht als er am Westpark wieder ausfährt. Der Notarzt biegt wenig später aus der Neuburger Straße ein und tut es ihm gleich. Kurz danach hat es der Lenker eines gelben Sportwagens überhaupt nicht eilig. "Euch zeig ich’s, scheint dagegen der Fahrer eines roten VW Passat sagen zu wollen, taucht ungebremst in den Verkehrsfluss ein. Ein Kombi mit Anhänger wird derweil von einem Laster beim Spurwechsel ausgebremst, und das knapp vor der Ausfahrt nach Friedrichshofen. Der Albtraum jedes Kreiselfahrers! Dabei ist es doch so einfach, wie ein Opel-Fahrer vormacht: Eine kleine Ehrenrunde gedreht und weg ist er. Warum aufregen?

14.30 Uhr: Westparkseitig nähert sich ein grüner Smart. Obwohl der Fahrer erst die fünfte Ausfahrt zur Richard-Wagner-Straße nimmt, bleibt er stur ganz rechts. Gleichzeitig umrunden drei Lausbuben auf BMX-Rädern den Kreisel direkt neben der Fahrbahn. Respektlos nehmen sie jede Einmündung und verschwinden über eine Grünfläche.

14.38 Uhr: Ein seltener Anblick: Ein roter Toyota prescht heran, ganz innen! Nur fünf Fahrer benutzen in dieser Stunde die dritte Spur. Darunter auch eine Polizeistreife – die Freunde und Helfer wissen halt, wie’s geht, und die lässt auch jeder wieder rein.

14.44 Uhr: Der Rettungswagen kehrt vom Einsatz zurück – problemloses Einfädeln.

15 Uhr: Nach einer Stunde die Bilanz: Viel unnötige Warterei durch ängstliche Fahrweise. Aber auch die Erkenntnis, dass der deutsche Autofahrer über Tugenden verfügt, die er sonst gerne vermissen lässt: Geduld und Nachsicht. Vielleicht sind hier deshalb heuer erst 16 Unfälle passiert – beachtlich wenige, bei 55 000 Autos jeden Tag.