Wir
Kräftig zubeißen

18.08.2016 | Stand 02.12.2020, 19:24 Uhr

Wir Sofasportler reiben uns in diesen olympischen Tagen verwundert die Augen. Denn bei jeder Siegerehrung geschieht meist das Unglaubliche: Frauen und Männer lassen sich von irgendwelchen Würdenträgern eine Medaille umhängen - und nagen an ihr. 306 Mal innerhalb von 16 Tagen, egal ob die Belohnung am Bande nach salzigem Meerwasser schmeckt oder der Sand von der Copacabana noch an ihr klebt. Frauen schnappen nach dem edlen Metall und schieben es sich meist in ihren in Landesfarben lackierten Krallen in den Mund, auch Männer simulieren den Akt des Zubeißens und präsentieren ihre frisch gebleachten Beißer. Und die Fotografen haben ihren Spaß. Sie schubsen, drängeln, raufen - und rufen "please bite", falls jemand auf dem Podest mal nicht spurt. Und nach der nächsten Entscheidung geht der Irrsinn von vorne los.

Früher bissen Handelsreisende auf Gold, um die Echtheit des Materials zu prüfen. Was bei Olympia unnötig ist, da bis auf Schwimmerin Sandra Völker kein Athlet dieser Welt jemals seine Medaille verkaufen wird. Die Geste ist schlicht alberner Kinderkram und Medienschnickschnack. Schließlich beißen Politiker bei einem Handshake-Foto auch nicht auf ihre Krawatte, Sänger auf einem Konzert in ihr Mikro oder Maler bei der Eröffnung einer Vernissage in ihr Bild, um medial authentisch rüberzukommen. Doch wir Sofasportler sind bar aller Hoffnung, dass jemand bis Sonntag seine Medaille nur streicheln wird.

‹Œ ‹ŒAlexander Fischer