München
Krächzen und cool bleiben

Udo Lindenberg liefert trotz angeschlagener Stimme eine spektakuläre Show in München

19.06.2019 | Stand 23.09.2023, 7:28 Uhr

München (DK) Unter großem Lärm und Pyroeffekten startet eine Rakete auf dem riesigen Screen.

Und nach Raum- und Luftfahrszenen legt der Jet "Panik 1" eine digitale Landung hin, bevor sich eine tatsächliche Tür in der Leinwand öffnet und zahlreiche Udo Lindenberg-Doppelgänger aussteigen. Der echte Udo kommt aus dem All beziehungsweise von der Decke der ausverkauften Olympiahalle mittels Mondlandefähre. Dann beginnt das Spektakel so richtig und Lindenberg und sein Panikorchester legen mit "Honky Tonk Show" los.

Als der 73-jährige Rocker wenig später die ersten Worte an die 12500 Fans richtet, merkt man, dass er mehr krächzt als üblich. Der Panik-Rocker geht humorvoll und offensiv mit seinem Handicap um und meint: "Keine Panik, die Stimme kommt schon." Kurzerhand lässt er sich einen Eierlikör bringen, um aus therapeutischen Gründen lautstark zu gurgeln. Hundertprozentig fängt er sich gesanglich zwar nicht im Laufe des Abends, aber performerisch liefert der Panik-Rocker mit Sonnenbrille und Trademark-Hut eine großartige Show ab. Und was Lindenberg nicht alles gibt. Zu "Du heißt jetzt Jeremias" gibt er den Panik-Priester und verheiratet an Seilen herabgelassene Nonnen und Pfarrer. Er gibt den Panik-Philosophen mit Sätzen wie "wenn einer allein träumt, ist er nur ein Träumer, wenn wir alle es tun, wird es Realität". Und immer wieder den Panik-Poeten mit Textzeilen wie "Nimm dir das Leben. Und lass es nicht mehr los ...".

Auch den Panik-Politiker kann er sich nicht verkneifen. Lindenberg prangert Staatsoberhäupter wie Donald Trump und Wladimir Putin im übertragenen Sinn an und lässt sie im tatsächlichen Sinn in einem eigens auf dem Laufsteg aufgebauten Boxring gegeneinander antreten. Die Botschaft des Panik-Pazifisten in Songs wie "Wozu sind Kriege da", dargeboten mit Kinderchor und "Wir ziehen in den Frieden" kommt unter großem Beifall beim Publikum an. Wenn auch immer noch heiser - "das erinnert mich an meinen alten Freund Joe Cocker" - rockt der ehemalige Schlagzeuger von Klaus Doldinger in Höchstform. An die gemeinsame Zeit mit diesem in München und an legendäre Nachtclubs wie das "Sugar Shack" erinnert er sich. Der Jazzer und Filmmusikkomponist Doldinger kommt zwar nicht auf die Bühne, aber dafür der alte Freund Otto Waalkes. Gemeinsam deutschen sie Stings "An Englishman In New York" zu "Ich bin ein kleiner Friesenjung" und AC/DCs "Highway To Hell" zu "Auf dem Heimweg wird's hell" um.

Lindenberg ist begeistert über die besondere Show "mit mehreren Sängern", womit er hauptsächlich sich meint und bedankt sich überschwänglich. Zum weiteren Gurgeln ein Weißbier! Während dem unerlässlichen "Sonderzug nach Pankow" raucht er sogar Zigarre. Gegen Ende steigert sich der Trubel zwischen Rock'n'Roll-Konzert und Reeperbahn-Revue weiter. Ein konfettiwerfender Gorilla fährt im Ruderboot durch die Halle und auf der Bühne tummelt sich von der Band über Gastsänger und Kinder bis hin zu Außerirdischen eine schier unübersichtliche Masse an Akteuren. Der Kracher "Odyssee" setzt einen lautstarken Schlusspunkt unter eine un- und außergewöhnliche Show. Jetzt aber erst mal einen Eierlikör zur Beruhigung.

Martin Buchenberger