Ingolstadt
Kornspeicher, Disco, Industriemagazin

Die Geschichte der heutigen Staudinger-Hallen reicht in die 60er-Jahre zurück - Ursprung war das Ausbesserungswerk

02.11.2018 | Stand 23.09.2023, 4:51 Uhr
Speicherstadt: Die Staudinger-Hallen am Nordostzipfel des Hauptbahnhofs aus der Luft (oben). Beim Brand im Oktober wurde die Halle E3 schwer beschädigt (unten links). Daneben ein Foto des früheren Konkordiaweihers aus den 30er-Jahren. −Foto: Schalles, Eberl, Archivx

Ingolstadt (DK) Der Großbrand im Staudinger-Komplex beim Hauptbahnhof in der Nacht zum 11. Oktober ist auch drei Wochen danach noch nicht aufgeklärt. Die Polizei wartet auf abschließende Berichte der Gutachter. Das Feuer, das einen Millionenschaden hinterlassen haben dürfte, hat nach langer Zeit mal wieder das öffentliche Interesse auf die "Speicherstadt" im Südosten gelenkt. Die war vor Jahrzehnten aber durchaus häufiger in den Schlagzeilen.

Wenn heute kaum jemand weiß, was in den Lagerhallen zwischen Asamstraße und Bahngelände so alles aufbewahrt wird, dann ist das durchaus im Interesse der dortigen Mieter: Verschwiegenheit gehört für das Familienunternehmen Staudinger mit Sitz im oberpfälzischen Bad Kötzting zum Geschäft. Seit der Mittelständler mit den Geschäftsfeldern Immobilien, Touristik und Gesundheit 1981 das rund 170000 Quadratmeter große Areal auf der Ostseite der Gleisanlagen übernahm, haben Anwohner und mitunter auch weitere Teile der Bevölkerung zwar gelegentlich erfahren dürfen, wer hier zu den Pächtern zählt - längst aber nicht immer.

Hatte nach dem Feuer vor drei Wochen schon überrascht, dass Magazinbestände des weltbekannten Deutschen Museums in München zumindest mittelbar von den Flammen bedroht,zum Glück aber kaum in Mitleidenschaft gezogen worden waren, so hat die Nachricht vom ganz erheblichen Materialverlust der Firma Airbus durch das Großfeuer (DK berichtete) fast noch größere Aufmerksamkeit gefunden.Schließlich hat die Vernichtung wichtiger Ersatzteile womöglich sogar Einfluss auf die Einsatzfähigkeit von Flugzeugen der Bundeswehr.

Bekannt war zuvor immerhin, dass auch die Audi AG schon seit Jahrzehnten mit Staudinger in geschäftlichen Kontakten steht - die vielen Lkw-Transporte zwischen Asamstraße und Automobilwerk waren Anfang der 2000er-Jahre zeitweise ein größeres Thema für die Kommunalpolitik. Dass in den Achtzigern und Neunzigern des vorigen Jahrhunderts nacheinander mehrere Discobetriebe (vom Z-Nightlife übers Galacticum bis zum Max) vor allem junge Leute in den Hallen-Komplex im Südosten lockten, ist vielen Schanzern und Umlandbürgern ebenfalls noch in guter Erinnerung. Dass die Vergangenheit des Geländes mit der Ingolstädter Eisenbahngeschichte verwoben ist, mag den Älteren auch noch recht bekannt vorkommen, doch dass hier zwischendurch auch einmal in großem Stil Getreide für den Handel in weite Teile Osteuropas, des Nahen Ostens und Afrikas gelagert wurde, ist womöglich bereits vielfach in Vergessenheit geraten.

Seit Reichsbahnzeiten hatte sich auf der Ostseite des Hauptbahnhofs das große Ausbesserungswerk befunden, das über Jahrzehnte die Bedeutung des Eisenbahnknotens Ingolstadt unterstrich und das Hunderten Einwohnern der Südstadt, vor allem aber von Ringsee, Arbeit und Brot verschaffte. Als die riesige Werkstatt in der Nachkriegszeit unter Regie der neuen Bundesbahn an Bedeutung verlor und schließlich geschlossen wurde, war die Weiterverwertung des Areals zunächst offen. Das Rennen um die Nutzung der bestehenden Hallen machte schließlich bei einem Bieterverfahren 1968 der Münchner Investor Hermann Waldhauser, der sich eine seinerzeit durchaus wichtige staatliche Institution als Mieter sicherte: Die sogenannte Einfuhr- und Vorratsstelle des Bundes mit Sitz in Frankfurt wählte die beiden ursprünglichen Ausbesserungshallen als Speicher für Getreideüberschüsse aus dem nordbayerischen Raum, die von hier aus im Zuge internationaler Vereinbarungen in die halbe Welt verkauft wurden. Der Standort war der Bundesbehörde und auch dem neuen Hallenbesitzer vor allem wegen einer damals noch aktuellen strukturpolitischen Vision besonders geeignet erschienen: Ein Donau-Binnenhafen bei Ingolstadt war seinerzeit noch ein großes Thema. Daraus wurde aber nichts.

Als Investor Waldhauser deshalb Anfang der 70er-Jahre daran ging, seine Speicherstadt zu erweitern und an der Asamstraße in großem Stil neue Hallen für andere Verpachtungsprojekte zu errichten (wobei auch der Konkordiaweiher, an den heute nur noch ein Straßenname erinnert, zugeschüttet wurde), verhob er sich allerdings gründlich: Weil er sich auf schwierige Regressforderungen gegen die von ihm ins Boot geholte Tschechische Staatsbaugesellschaft wegen angeblicher Baumängel einließ und deshalb offenbar potenzielle Mieter absprangen, schlitterte Waldhauser in die Insolvenz. In die über Jahre währenden Turbulenzen wurde Ende der Siebziger zeitweise sogar die Stadt Ingolstadt hineingezogen, weil ihr plötzlich Versäumnisse bei der Bauaufsicht vorgeworfen wurden. Die Sache ging aber schließlich aus wie das Hornberger Schießen.

Profiteur aller Umwälzungen war letztlich der Unternehmer Anton Staudinger, der den Komplex 1981 im Zuge eines Zwangsversteigerungsverfahrens erwarb, sanierte und später noch erweiterte. Die Firma möchte sich zu Anzahl und Art der heutigen Mieter nicht näher äußern - nur, dass es sich um "renommierte Unternehmen" handelt, wird auf Anfrage verraten. Der Schleier ist durch den Brand jetzt allerdings zumindest ein wenig gelüftet worden.

Bernd Heimerl