Pfaffenhofen
Koran-Texte ins Heute übertragen

Bedeutende Islam-Theologin Hamideh Mohagheghi referiert in Pfaffenhofen

14.10.2018 | Stand 23.09.2023, 4:38 Uhr
"Der Dialog der Religionen ist unverzichtbar": Hamideh Mohagheghi und Sepp Steinbüchler in Pfaffenhofen. −Foto: Steinbüchler

Pfaffenhofen (PK) Sie kennt praktisch jede Stelle im Koran auswendig, die mit Gewalt zu tun hat, denn ihre Dissertation befasst sich exakt mit diesem Thema: Hamideh Mohagheghi, eine aus dem Iran stammende Juristin, islamische Theologin und Religionswissenschaftlerin erwies sich bei ihrem Vortrag in Pfaffenhofen als Expertin für ein ausgesprochen brisantes Thema.

Der Internationale Kulturverein hatte im Rahmen der Interkulturellen und Interreligiösen Wochen Mohagheghi zum Vortrag geladen. Der Vorsitzende Sepp Steinbüchler begrüßte dazu rund 70 Zuhörer im Rathaussaal. Religion, so betonte Mohagheghi gleich zu Beginn, sei nicht primär der Grund für die derzeitigen Konflikte, Kämpfe und Kriege. Die Ursachen seien vielmehr sehr komplex. Meist gehe es um soziale Ungerechtigkeiten oder machtpolitische Bestrebungen. "Soziale Gerechtigkeit ist auch ein wichtiges Thema im Koran", führte sie aus, denn Gott gebiete Gerechtigkeit, Gutes tun und Nächstenliebe.

Mit Hilfe einer Präsentation zeigte sie verschiedene Suren im Koran oder alte Überlieferungen auf, in denen es um Gewalt geht. Um diese Texte richtig zu interpretieren, müsse man - wie beim Lesen der Bibel - berücksichtigen, in welcher Zeit sie geschrieben wurden, welche geschichtlichen und gesellschaftlichen Hintergründe eine Rolle spielten. Dann werde aus dem oft völlig falsch zitierten "Aufruf zum Töten der Ungläubigen" eine ganz andere Botschaft. So rufe der Koran keineswegs zur Gewalt auf, sondern er sage vielmehr: Kämpfen darf man nur zur Verteidigung; wenn ein Kampf unvermeidlich ist, muss man sich an Regeln halten; und nach dem Kampf soll man barmherzig sein. Zwar gehe der Koran nicht so weit wie die Bibel, die auch dazu aufruft, den Feind zu lieben. Aber der Koran appelliert an die Muslime, aus Feindschaft Versöhnung zu machen.

Ebenfalls steht dort geschrieben, dass man Kindern, Alten, Kranken, Unbeteiligten und auch der Umwelt nicht schaden darf, erläuterte Mohagheghi. "Mit modernen Kriegswaffen dürfte kein Muslim Krieg führen, denn das kann nicht in Gottes Namen sein." Der Koran fordere die Muslime vielmehr auf, Hungrige zu speisen, Frieden zu verbreiten, soziale Verantwortung zu übernehmen. "Hunger zulassen - das erlaubt der Glaube nicht: meiner nicht und ihrer auch nicht", erklärte die Referentin. Die Frage, wie sie damit leben könne, dass die Zerstörung des Jemen von Saudis und Iranern unterstützt werde, beantwortete sie mit einem "sehr schwer" und einer Gegenfrage: "Wie kann Deutschland damit leben, Waffen an die Saudis zu liefern?"

Eine Reihe von Zuhörern hatte Fragen - und so schloss sich eine lebhafte Diskussion an das Referat an. Da ging es um den "Dschihad". Mohagheghi führte aus, dass es bei diesem Begriff eigentlich nicht um einen physischen Kampf oder gar einen "Heiligen Krieg" gehe. Vielmehr bedeute das Wort eine Bemühung oder Anstrengung, auch bis zum äußersten. Jetzt werde der Begriff von islamistischen Terroristen instrumentalisiert. Steinbüchler erinnerte daran, dass das Wort "Dschihad" im Ersten Weltkrieg sogar vom Deutschen Kaiser gegen die Muslime verwendet worden sei. Und ein Zuhörer fügte an, dass noch kein arabisches Land einen Krieg gegen ein westliches Land angezettelt habe - umgekehrt aber sehr wohl. Und dass schon seit der Kolonialzeit den arabischen Ländern viel Unrecht angetan worden sei.

In jüngster Zeit, so erklärte Mohagheghi, gibt es zunehmend namhafte Muslime, die sich für Frieden einsetzen und für gewaltlosen Widerstand plädieren. Ihr Appell wird aber zumeist noch vom Geschrei der islamistischen Gewalttäter übertönt. "Diese verrückten Muslime legen den Koran nicht anders aus - die haben ihn gar nicht gelesen", betonte die Theologin und nannte als einziges wirksames Gegenmittel: "Bildung, Bildung, Bildung!"

Steinbüchler zeigte ein Kinderbuch "Was der Koran uns sagt", das Mohagheghi geschrieben hat. Und die Referentin erläuterte, dass sie auch religiöse Bildung für wichtig halte: "So habe ich die Möglichkeit, eine reflektierten Glauben kennenzulernen, und etwas in Frage stellen zu dürfen. Ich wünsche mir, dass Muslime lernen, sich intellektuell mit dem Koran auseinanderzusetzen." Denn der Koran sei kein Gesetzbuch, sondern ein Weisungsbuch. "Gott gibt keine festen Regeln vor, sondern Weisungen - und dazu müssen wir unser Hirn benutzen!"

Steinbüchler bezeichnete es als Herausforderung, sich nicht in theologischen Spitzfindigkeiten zu verfangen und nicht zu polemisieren, sondern sich gemeinsam für eine glaubwürdige Gerechtigkeit stark zu machen. In diesem Einsatz, so betonte Mohagheghi, müssten sich alle Religionsgemeinschaften zusammentun. "Der Dialog der Religionen ist unverzichtbar - gerade in der heutigen Zeit."

Hamideh Mohagheghi (64) ist Juristin, islamische Theologin und Religionswissenschaftlerin. Sie stammt aus dem Iran und lebt seit ihrem 22. Lebensjahr in Deutschland. Sie hat in Teheran und Hannover studiert und arbeitet als Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Komparative Theologie und Kulturwissenschaften für die islamische Theologie an der Universität Paderborn. Sie arbeitet derzeit an ihrer Dissertation zum Thema Gewalt im Koran. Sie ist Mitbegründerin des islamischen Frauennetzwerkes Huda, ehemalige Vorsitzende der Muslimischen Akademie in Deutschland und Mitglied des Arbeitskreises "Christen und Muslime" im Zentralkomitee der deutschen Katholiken sowie des Kuratoriums der Christlich-Islamischen Gesellschaft. Sie hat das Bundesverdienstkreuz verliehen bekommen - und nicht zuletzt ist sie verheiratet und hat zwei erwachsene Töchter sowie vier Enkelkinder.

Elisabeth Steinbüchler